Wieder zu sehen: Zwei Marienfiguren

Vier im Liebieghaus restaurierte Kunstwerke sind seit kurzem wieder in den Ausstellungsräumen der Mittelaltersammlung zu sehen. Den Abschluss der Serie, in der Dr. Stefan Roller, Leiter der Sammlung Mittelalter, die skulpturalen Arbeiten vorstellt, bilden zwei Marienfiguren, die erst seit relativ kurzer Zeit zur Mittelaltersammlung des Liebieghauses gehören.

Bei den Figuren handelt es sich um eine kleinformatige Darstellung der thronenden, das Christuskind stillenden Muttergottes (Maria lactans), die um 1490 von Michel Erhart in Ulm geschnitzt wurde, sowie die ein halbes Jahrhundert ältere Trauernde Maria einer Kreuzigung Christi von dem in Nürnberg tätigen anonymen Meister der Pilsener Kreuzigungsgruppe.

Beide Künstler sind mit weiteren Werken in unserer Sammlung vertreten. Wie es der Zufall will, konnten wir vor einigen Jahren die zur Kreuzigungsgruppe der trauernden Maria gehörende Johannesfigur erwerben. Zusammen mit zwei fliegenden Engeln aus der Zeit um 1500 repräsentieren diese Figuren auf hohem Niveau die sonst in Sammlungen selten anzutreffende Nürnberger Bildhauerkunst der Spätgotik. Bei der zarten Maria lactans wiederum handelt es sich wohl um die reizvollste kleinformatige Skulptur Michel Erharts, der zu den bedeutendsten spätgotischen Bildschnitzern Süddeutschlands gehört. Die intime Darstellung symbolisiert die wahre Mutterschaft Marias und vergegenwärtigt die zentrale Idee des Christentums, dass Jesus wirklich als Mensch geboren wurde, trotz seiner göttlichen Herkunft.

Die Skulpturen waren ursprünglich farbig gefasst und wurden zu unbekannter Zeit abgelaugt, ein radikaler Eingriff, den leider zahlreiche mittelalterliche Bildwerke im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert über sich ergehen lassen mussten. Der Grund hierfür war zumeist ästhetischer Natur und basierte auf einem puristischen akademischen Ideal. Dieses verkannte den ursprünglichen Stellenwert der Farbigkeit für die Skulptur, stellte deren plastische Bildhauerarbeit über ihr farbiges Finish und empfand letzteres als unangemessen und störend. Die Holzsubstanz der Figuren litt massiv unter der Abnahme der Polychromie, weshalb man häufig versuchte, die optisch nicht befriedigenden Oberflächen mithilfe von Überzügen wieder aufzuwerten. So auch im Falle unserer Marien.

Beide Figuren kamen erst vor wenigen Jahren als Neuerwerbungen ins Liebieghaus und mussten von einer vermutlich im 19. Jahrhundert aufgetragenen Patinierung sowie einer dicken Schmutzschicht befreit werden, die die Lesbarkeit der plastischen Formen erheblich einschränkte. Alle notwendigen Restaurierungsmaßnahmen ließen sich relativ einfach und zügig in unserer Restaurierungsabteilung umsetzen. Die Holzoberfläche wurde gründlich und schonend mit dem Laser von den späteren Überzügen und der Schmutzschicht befreit. Wir wussten, dass die wenigen noch vorhandenen Partikel der alten Bemalung empfindlich auf die Laser-Reinigung reagieren würden und haben sie deshalb ausgespart.

Die nun zum Vorschein kommende Holzoberfläche war allerdings durch frühere Abbeizmaßnahmen stark in Mitleidenschaft gezogen. Sie wirkte wie ausgewaschen, war fleckig, rau und faserig. Durch das Aufbringen einer Lasur aus tierischem Leim konnte dies jedoch korrigiert werden, so dass die Oberfläche heute wieder glatt und geschlossen erscheint. Abschließend wurde eine weitere dünne, jetzt aber zusätzlich leicht pigmentierte Leimlasur aufgetragen. Dadurch erhielt das Holz nicht nur seine ursprüngliche Farbe zurück, sondern erscheint auch wieder deutlich homogener. Kleinere Korrekturen an Schwundrissen und der Schnitzerei bringen nun auch die bildhauerischen Qualitäten der Skulpturen wieder angemessen zur Geltung.

Autor:

Dr. Stefan Roller

Leiter der Abteilung Mittelalter

Verwandte Artikel