Vier im Liebieghaus restaurierte Kunstwerke sind seit kurzem wieder in den Ausstellungsräumen der Mittelaltersammlung zu sehen. In einer dreiteiligen Serie stellt Dr. Stefan Roller, Leiter der Sammlung Mittelalter, die skulpturalen Arbeiten vor. Diesmal steht Niklaus Weckmanns „Heiliger Georg“ (1496–1499) im Rampenlicht.
Niklaus Weckmann
Heiliger Georg
Vom Hochaltar der Benediktinerabteikirche St. Georg in Ochsenhausen
Ulm, 1496–1499
Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert Miguletz
Nachdem die lebensgroße Skulptur des Heiligen Georg lange Zeit als Leihgabe im Klostermuseum der ehemaligen Benediktinerabtei Ochsenhausen südlich von Ulm zu sehen war, kehrte sie erst vor wenigen Jahren zurück in die Liebieghaus Skulpturensammlung.
Über diese Skulptur wissen wir erstaunlich viel: Sie wurde von dem Ulmer Bildschnitzer Niklaus Weckmann (tätig 1481–1526) zusammen mit den Statuen einer Muttergottes, der Apostelfürsten Petrus und Paulus und des Gründers des Benediktinerordens, des Heiligen Benedikt von Nursia, für den Schrein des Hochaltars der Klosterkirche in Ochsenhausen geschnitzt. Der an den Ulmer Schreiner Jörg Syrlin d.J. (um 1455–1521) verdingte Altaraufsatz, der laut einer barocken Beschreibung bis in das Chorgewölbe des 1495 geweihten Neubaus der Kirche ragte, entstand von 1496 bis 1499.
Im Zuge von Erneuerungsarbeiten während des späten 17. Jahrhunderts musste er von seinem angestammten Platz weichen und erhielt einen neuen Standort in der Kirche. Wenige Jahrzehnte später aber, 1730, entgingen nur die Schreinfiguren der Zerstörung des Altars. Alles andere wurde verbrannt. Die Madonna und die Heiligen Petrus und Paulus gelangten in die Dorfkirche von Bellamont, unweit von Ochsenhausen. Unsere Ritterfigur kam angeblich in die abgegangene Georgskapelle in Ravensburg und von dort in Privatbesitz, von wo sie in den Münchener Kunsthandel abgegeben und von dort 1907 für das Liebieghaus erworben wurde. Über den Verbleib der Figur des Heiligen Benedikt wissen wir leider nichts.
Niklaus Weckmann
Heiliger Georg
Vom Hochaltar der Benediktinerabteikirche St. Georg in Ochsenhausen
Ulm, 1496–1499
Eiche, ursprünglich wohl mit semitransparenten Überzügen und Teilfassung (?)
Restauriert mit Mitteln der Förderstiftung Liebieghaus
Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung
Anders als die drei Skulpturen in Bellamont, die von mehreren dicken Farbschichten bedeckt sind, kam der „Heilige Georg“ ohne derartige Bemalung ins Liebieghaus. Das rissige Holz ließ aber darauf schließen, dass die Figur früher ebenfalls bemalt gewesen, irgendwann aber abgebeizt worden war. Im Originalzustand allerdings präsentierten sich die Ochsenhausener Altarfiguren ohne vollständige Bemalung und Vergoldung. Aus einer barocken Beschreibung wissen wir, dass sowohl die mittelalterliche Altararchitektur als auch die zugehörigen Skulpturen keine deckende Bemalung besaßen und die Holzoberfläche sichtbar war. Dafür spricht auch, dass die Statuen nicht aus dem üblichen, leicht zu bearbeitenden Lindenholz, sondern aus der in Süddeutschland bei Figuren selten verwendeten harten Eiche bestehen. Doch wurde auch hier nicht vollständig auf Farbe verzichtet: Bei den Figuren in Bellamont konnte man feststellen, dass die Lippen ursprünglich rot, die Lidränder dunkelbraun und die Pupillen und Augenbrauen schwarz bemalt waren. Ebenso zeigten die offenen Seiten des Buches Petri schwarze Buchstaben. Der Drachentöter dürfte spätestens durch das Abbeizen der späteren Bemalung derlei originale Färbungen verloren haben. Ob die Bildwerke darüber hinaus weitere farbliche Differenzierungen und Farbakzente durch pigmentierte transparente Überzüge aufwiesen, lässt sich nicht ausschließen, ist heute aber nicht mehr nachweisbar.
Ausstellungsansicht, Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert Miguletz
Die Skulptur des Heiligen Georg erfuhr im Lauf seiner Geschichte aber auch substanzielle Veränderungen. Gravierend war der Verlust der Flügel des Drachens, die man anders als seinen Kopf im 19. Jahrhundert nicht ergänzte. Weitere Details waren erneuert oder ergänzt worden, z. B. die Schwanzspitze des Drachen, eine der so genannten Schwebscheiben (die runden Rüstungsteile in Achselhöhe) an der Ritterfigur selbst sowie Teile des Schwertes und der Lanze. Die Unterseiten der rechten Drachenbeine hatte man für den besseren Stand auf der neuen Plinthe nachträglich abgeflacht. Georgs Mantelrückseite wies nachträglich abgeflachte Faltengrate auf und sein rechter Arm im Bereich des Handgelenks eine Verkürzung. Viele der „Nieten“, kleine Zierkügelchen aus Holz, die die Rüstung schmückten, fehlten schon bei Erwerb der Figur, reduzierten sich aber im Lauf der vergangenen Jahre noch weiter. Außerdem fehlte der auf alten Museumsfotos noch vorhandene geschnitzte Federschmuck der Kopfbedeckung.
Ausstellungsansichten, Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert Miguletz
Als Reste eben dieser Federn im Museumsdepot auftauchten, lag es nahe, sie zu vervollständigen und wieder zu installieren. Zudem entsprachen manche der alten Ergänzungen nicht der formalen und schnitzerischen Qualität der Figur und einige verlorene Teile beeinträchtigten die Wirkung der Figur erheblich. Deshalb entschieden wir uns, nach der zunächst notwendigen Entfernung der massiven Oberflächenverschmutzung, derartige schlechte plastische Ergänzungen zu erneuern, verfälschende Eingriffe zu korrigieren und Fehlendes wieder hinzuzufügen. Diese weitreichende Entscheidung konnten wir treffen, weil aussagekräftige Vergleichsstücke aus dem Œuvre des verantwortlichen Bildschnitzers Niklaus Weckmann existieren, die eine sichere formale Orientierungsbasis für ein solches Vorgehen darstellten. Die Arbeiten wurden in der Restaurierungswerkstatt des Museums vorgenommen.
Jetzt schmücken wieder Federn den Hut des Heiligen und Nieten seine Rüstung. Die Lanze wurde gekürzt und gedreht, und Georg stößt sie nun in den Rachen des Drachen. Vor allem aber bekam der wieder seine Flügel, was Komposition und Wirkung der ganzen Figur entscheidend belebt.
Abschließend erhielt die Skulptur Lasuren mit leicht pigmentiertem Leim, um gealterte und neue Holzpartien optisch einander anzugleichen. Außerdem wurden alle späteren Ergänzungen flächendeckend mit einer feinen Punktretusche kenntlich gemacht.