Über den Wunsch zu fliegen und enttäuschte Liebe

Technologie in der griechischen Mythologie

In den griechischen Sagen findet sich immer wieder die utopische Vorstellung fantastischer technischer Erfindungen. Ohne sie würde so mancher Mythos seine Faszination einbüßen. Die Ausstellung „Maschinenraum der Götter“ präsentiert einige dieser Geschichten und ermöglicht einen aufregenden neuen Blick auf bekannte Erzählungen – diesmal mit dem Fokus auf Technologie.

Götter wie Hephaist oder die sagenhafte Gestalt des Daidalos treten als technologische Genies auf und konstruieren komplexe Wunderwerke. Diesen kreativen Schöpfern einer künftigen Welt begegnet man auf römischen Wandmalereien, wie etwa in Pompeji. Als 79 n. Chr. der Vesuv ausbrach, wurde Pompeji, eine römische Stadt am Fuße des Vulkans, von Asche begraben. Diese konservierte gewissermaßen die Stadt, in der seit bald drei Jahrhunderten Ausgrabungen stattfinden, die immer wieder Erstaunliches zutage fördern.

Daidalos und der Minotauros

Ein Gemälde im Haus der Vettier (Casa dei Vettii) zeigt Daidalos, den genialen Erfinder, in seiner Werkstatt. Daidalos ist für eine Vielzahl einfallsreicher Ideen bekannt. Nicht zuletzt für die Konstruktion der Flügel, mit denen es ihm gelingt, von Kreta bis nach Sizilien zu fliegen. Sein Sohn Ikaros hingegen hält sich nicht an die „Gebrauchsanweisung“. Als er der Sonne zu nah kommt, schmilzt das Wachs und er stürzt ab – eine bekannte Geschichte. Zuvor hatte Daidalos das Labyrinth auf Kreta gebaut, um darin den Minotaurus gefangen zu halten. Das zerstörerische Wesen halb Mensch, halb Stier, hatte auf Kreta eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Das Fresko aus dem Haus der Vettier erzählt, wie dieses Ungetüm gezeugt wurde.

Pasiphae und der Stier

Erwartungsvoll sitzt Pasiphae, die Königin von Kreta, in der Werkstatt des Daidalos, während im linken unteren Bildabschnitt ein Gehilfe noch an einem mechanischen Werkstück arbeitet. Daidalos soll Pasiphae dabei helfen, die Aufmerksamkeit eines schönen weißen Stiers zu gewinnen, nach dem sie ein starkes Verlangen entwickelt hat. Schuld daran trägt ihr Gatte Minos. Er hatte den vom Meeresgott Poseidon gesandten Stier nicht geopfert, woraufhin dieser Pasiphae zu ihrem Verlangen verfluchte.

Doch der Stier ließ sich von ihr in Menschengestalt nicht beeindrucken. Deshalb hoffte Pasiphae mit Hilfe eines täuschend echten Modells einer schönen Kuh das Interesse des Stieres zu wecken und sich schließlich mit ihm zu vereinigen. Daidalos schuf daraufhin eine mimetische und von der Natur kaum zu unterscheidende hölzerne Kuh. Dargestellt ist der Moment, in dem er die Klappe am Rücken des Modells öffnet und Pasiphae demonstriert, wie sie einsteigen soll.

Ariadne und Theseus

Die Malerei auf der Wand gegenüber zeigt die schlafende Ariadne und den jungen Dionysos, wie er sie dabei beobachtet. Ariadne, Tochter von Pasiphae und Minos, war eigentlich mit ihrem Geliebten Theseus geflohen, der sie aus ungeklärten Umständen auf der Insel Naxos zurückließ – im Hintergrund erkennt man noch das davon segelnde Schiff. Theseus nahm die Reise von Athen nach Kreta auf sich, um den im Labyrinth gefangenen Minotaurus zu töten. Die einfallsreiche Ariadne verliebte sich in ihn und gab ihm vor dem Betreten des Labyrinths ein Wollknäuel mit. Dessen roten Faden – heute als Ariadnefaden bekannt – wickelte er auf seinem Weg aus und fand so, nachdem er das Ungetüm getötet hatte, wieder den Weg nach draußen.

Hephaist

Als Handwerkergott erfindet und baut Hephaist viele verschiedene und häufig trickreiche Konstruktionen, die immer wieder in den griechischen Mythen erscheinen. Als Kind wird Hephaist von seiner Mutter Hera vom Olymp geworfen und verletzt sich dabei am Fuß. Er baut ihr einen goldenen Thron, der ihr automatisch Fesseln anlegt, als sie sich auf ihm niederlässt. Keiner der Götter im Olymp ist in der Lage, die Fesseln zu lösen. Deshalb müssen sie Dionysos, den Gott des Weins, bitten, auf die Erde herabzusteigen und sich Hephaist anzunehmen. Es gelingt ihm schließlich, den betrunkenen Hephaist zu überzeugen, in den Olymp zurückzukehren und die Fesseln zu lösen.

Die Bestrafung des Ixion

Auch die Geschichte von der Bestrafung des Ixion wird auf einer Wandmalerei im Haus der Vettier dargestellt. Ixion, der König der Lapithen, hatte seinen Schwiegervater in eine Feuergrube geworfen und getötet. Zeus erklärte sich als Einziger bereit, den verstoßenen und geächteten Ixion aufzunehmen. Jedoch stieg diesem das Leben im Olymp zu Kopf – durfte er als Sterblicher sogar am Tisch der Götter sitzen. In einem Anfall trunkener Überheblichkeit kann er sein Verlangen nach Zeus‘ Gattin Hera nicht mehr zurückhalten. Hera ist außer sich. Insbesondere ihrem Mann macht sie Vorwürfe und fordert eine Bestrafung. Zeus beauftragt daraufhin Hephaist, seinen Sohn, ein Objekt zu bauen, das sich mit Feuerantrieb durch den Weltraum drehen kann. Die rundliche Konstruktion im linken Bildabschnitt erinnert an ein Rad, das mit Achsen versehen ist und mit Metallbeschlägen zusammengehalten wird. Ixion wird an dem von Hephaist konstruierten radähnlichen Objekt, welches entfernt an ein Raumschiff denken lässt, gefesselt und von Hermes auf eine endlose und leidvolle Reise geschickt.

Hephaist schmiedet auch die Ketten, mit denen Prometheus an den Kaukasus gefesselt wird. Prometheus hatte zuerst die Menschen „konstruiert“ und ihnen dann das Feuer geschenkt, wodurch er ihnen einen technologischen Vorteil verschaffte. Die Bestrafung war qualvoll. Täglich kam ein ebenfalls von Hephaist entworfener Adler, der ihm bei lebendigem Leib die nachwachsende Leber aus dem Körper riss und fraß. Das laute technische Surren des Adlers erinnert an die moderne Drohne.

Unter anderem produzierte Hephaist auch eine neue Rüstung für den griechischen Helden Achill, der deshalb wieder in den Kampf um Troja eintrat. Dafür verwendete er Gold, das Material der Götter und – in der Vorstellung – unzerstörbar. Auf einem antiken Wandgemälde aus Pompeji ist die Szene dargestellt, in der Achills Mutter Thetis den Herstellungsprozess aufmerksam verfolgt. Sie war es, die Hephaist aufnahm und großzog, nachdem er hilflos auf der Erde gelandet war. Ähnlich wie in der Szene mit Pasiphae ist auch hier im linken unteren Eck ein Werkstattgehilfe an einem Rüstungsteil beschäftigt.

Publikation

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Die hier vorgestellten Geschichten und Figuren sind nur einige von vielen Beispielen, die die tiefe Verwobenheit von Technologie und Mythologie in den Werken antiker Künstler zeigen. Sie stehen aber auch für die Sehnsucht des Menschen nach der Umsetzung dieser Technik, wie der wiederholt auftauchende Werkstattgehilfe verdeutlicht, dem keine göttlichen, sondern nur menschliche Kräfte und Werkzeuge zur Verfügung stehen. Die Realisierung komplexer Mechanismen, beweglicher Skulpturen und illusionistischer Apparate bleibt kein Wunschtraum. Aber sehen Sie selbst... im „Maschinenraum der Götter“.

Autor:

Jakob Salzmann

Jakob Salzmann ist wissenschaftlicher Volontär in der Antikensammlung des Liebieghauses. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die antike Statuenpolychromie.

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