Mit der langjährigen Restaurierung des Rimini-Altars ging auch eine intensive kunsthistorische Erforschung des um 1430 entstandenen Skulpturenensembles einher. Sammlungsleiter Dr. Stefan Roller über Werkstatt, Entstehungs- und Bestimmungsort und Auftraggeber.
Seit Erwerb des Ensembles 1913 durch Georg Swarzenski stand die Identifizierung des Rimini-Meisters und die Verortung seiner Werkstatt im Fokus des kunsthistorischen Interesses. Von Anfang an gab es dabei keine Zweifel an der nicht-italienischen Herkunft der zuletzt in Santa Maria delle Grazie in Rimini-Covignano verwahrten Bildwerke.
Zunächst als deutsch, dann als französisch eingeordnet, tendierte die Wissenschaft in der jüngeren Vergangenheit verstärkt zu einer Entstehung in den südlichen Niederlanden, zumal ein vermeintlicher Alabasterspezialist aus Brügge, Gilles le Blackere, als Meister des Rimini-Altars vorgeschlagen wurde. Diese Identifizierung musste inzwischen revidiert werden. Die generelle Einschätzung jedoch ließ sich im Laufe unserer Arbeit dennoch bestätigen: Zum einen kumulieren sich die mit dem Rimini-Altar verwandten Objekte, die sich noch am originalen Standort befinden oder deren ursprünglicher Bestimmungsort bekannt bzw. plausibel überliefert ist, im norddeutsch-niederländischen Raum. Zum anderen boten sich durch den herrschenden Wohlstand und das Streben nach Selbstdarstellung des burgundischen Herzogshofes wie der flandrischen Städte optimale Bedingungen für Künstler aller Sparten. Vor allem Brügge, wichtigste Handelsmetropole diesseits der Alpen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, überzeugt als Kandidat: Dort fand jährlich einer der wichtigsten Märkte statt. Die europaweiten Handelsverbindungen und die unmittelbare Anbindung an den Seehandel erklären am schlüssigsten die Verbreitung „riminesker“ Bildwerke von Frankreich bis Polen und von Schweden bis Italien und zu den Kanaren. Nicht zuletzt rezipiert eine Figur der Rimini-Werkstatt auffallend zeitnah ein sehr ungewöhnliches Motiv von einem für Brügge gemalten Retabel, was massiv für den dortigen Sitz der Werkstatt spricht.
Nun scheint dieser Annahme zwar zu widersprechen, dass der Alabaster, wie wir inzwischen wissen, aus dem fränkischen Steigerwald stammt. Doch war die Wirtschaft der Niederlande seit jeher auf den Import von Rohstoffen angewiesen. Und noch im 18. Jahrhundert wurde Holz aus derselben Gegend in die Niederlande geliefert. Dies geschah sicherlich über Main und Rhein und damit auf denselben Transportwegen wie 300 Jahre zuvor der Alabaster nach Flandern gelangt sein dürfte.
Links: Rimini-Altar, Apostel Paulus (Inv. 406)
Rechts: Materialprobe aus dem Abbaugebiet im Steigerwald
Der Gute Hauptmann (Inv. 404) und
Der gekreuzigte Christus (Inv. 400a)
Weltweit existieren erstaunlich viele Skulpturen mit mehr oder weniger deutlicher stilistischer Nähe zum Rimini-Altar (oftmals erschwert der schlechte Erhaltungszustand eine genauere Bewertung). Und immer wieder tauchen bislang unbekannte Stücke auf. Dabei schwankt die künstlerische und handwerkliche Qualität stark und die Frankfurter Bildwerke bleiben unerreicht. Das alles legt den Gedanken nahe, dass weitere Alabasterschnitzer neben der Rimini-Werkstatt existierten, wahrscheinlich verbunden durch einen Regionalstil, der aber durch den Rimini-Meister eine so überzeugende Ausprägung erfuhr, dass er wiederum für andere Schnitzer vorbildhaft wurde. Während die Grenzen zwischen den einzelnen Werkstätten kaum zu ziehen sind, zeichnet sich umso klarer ab, dass sie gezielt für den Export produzierten. Dabei reichte das Angebot vom seriell hergestellten mediokren Figürchen bis zum erstklassigen anspruchsvollen Spezialauftrag und sollte ganz unterschiedliche Kunden ansprechen.
Alle Objekte bestehen dem optischen Befund nach aus demselben Alabaster (partiell bestätigt durch Isotopentests), sodass der Rimini-Kreis insgesamt ein sehr einheitliches „Branding“ aufweist. Es ist anzunehmen, dass damit gezielt auf die Schwemme serieller Alabasterwerke aus England seit dem 14. Jahrhundert reagiert wurde. Zumindest für kurze Zeit scheint das Konzept aufgegangen zu sein.
Stephaton (Inv. 404)
Hl. Maria Magdalena (Inv. 401)
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Letzter Aufbewahrungsort des Rimini-Altars war Santa Maria delle Grazie in Rimini-Covignano. Etliche Zweifel an der ursprünglichen Bestimmung für die kleine Wallfahrtskirche gipfelten in der Überlegung, ob die Bildwerke nicht ursprünglich für die Franziskanerkirche San Francesco in Rimini in Auftrag gegeben worden sein könnten. Als potenzielle Auftraggeber kommen die Herren von Rimini, die Malatesta, in Betracht, die dort ihre Familiengrablege besaßen. Sie hätten entsprechende finanzielle Mittel, repräsentativen Ehrgeiz, künstlerischen Anspruch und ausreichende persönliche Verbindungen besessen, um sich mit einem derartigen, exotisch anmutenden und anspruchsvollen Werk sozial hervorzuheben. Mit dem Umbau der Kirche durch den Renaissance-Architekten Leon Battista Alberti könnte das mittelalterliche Retabel aber bereits wenige Jahre nach seiner Aufstellung seine Bedeutung verloren haben und zunächst eingelagert worden sein, bevor es dann viele Jahrzehnte später in der Marienkapelle in Rimini-Covignano neue Verwendung fand.
Nach Abschluss aller restauratorischer und konservatorischer Arbeiten am Rimini-Altar erhielt dieses Meisterwerk der Liebieghaus Skulpturensammlung auch ein neues Ausstellungsdisplay. Die Bildwerke zeigen sich nun in einem maßgefertigten 4,0 × 3,5 Meter großen schreinartigen Gehäuse, dessen Gestalt sich an zeitgenössischen niederländischen Altären orientiert. Die Präsentation wird dem bedeutenden kunsthistorischen Rang des Rimini-Altars gerecht. So wie Kalvarienberg und Apostel durch die Restaurierung ästhetisch ungemein gewonnen haben, so profitieren die Bildwerke nun auch durch das neue Display. Es rahmt, gliedert und akzentuiert und stellt – ganz im Sinne der mittelalterlichen Auftraggeber und Bildschnitzer – vor allem der Szene der Kreuzigung als zentralem Inhalt der christlichen Heilsgeschichte nun auch einen angemessenen Bühnenraum zur Verfügung, der die Wirkung der Darstellung ins Dramatisch-Bildhafte steigert.
Gesamtansicht des Rimini-Altars (Inv. 400-418)
Die Ausstellung „MISSION RIMINI. Material, Geschichte, Restaurierung“ war vom 3. November 2021 bis 25. September 2022 im Liebieghaus zu sehen.
Abbildungen: © Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main