In der Liebieghaus Skulpturensammlung ist ein mehrjähriges Untersuchungs- und Restaurierungsprojekt gestartet. Es geht um eines der Hauptwerke der Sammlung: den sogenannten „Rimini-Altar“. Das um 1430 wohl in den südlichen Niederlanden entstandene mehrfigurige Ensemble ist aus weißem Alabaster gefertigt. Dieses hochempfindliche Material stellt uns Restauratoren vor eine schwierige Aufgabe.
Gesamtansicht des Rimini-Altars im Sammlungsbereich Mittelalter, derzeitiger "verlängerter" Zustand
Im Jahr 1913 wurde der Rimini-Altar aus dem römischen Kunsthandel für das Liebieghaus erworben und zählt seitdem nicht nur zu den bedeutendsten Sammlungsstücken, sondern auch zu den international renommiertesten Objekten des Museums. Seine kunsthistorische Bedeutung und Einzigartigkeit ist auch daran ablesbar, dass er für einen Großteil der Alabasterwerke des beginnenden 15. Jahrhunderts in zahlreichen, internationalen Museen und Kunstsammlungen namengebend ist. So finden sich weltweit Werke, die dem „Meister des Rimini-Altars“ und seiner Werkstatt zugeschrieben sind: etwa in Warschau, Berlin und München über Paris, London und Stockholm bis nach New York und Los Angeles. Diese Popularität verdankt der Altar nicht nur seiner hohen bildhauerischen Qualität, sondern ebenso dem Umstand, dass es sich bei ihm um eines der umfangreichsten und am besten erhaltenen spätmittelalterlichen Figurenensembles aus Alabaster handelt.
Das Zentrum des Ensembles bildet eine aus mehreren Blöcken gearbeitete, figurenreiche Kreuzigung Christi. Flankiert wird sie von jeweils sechs Aposteln. Die allesamt vollrund ausgearbeiteten und ehemals partiell farbigen Bildwerke entstammen einem Altar der Kirche Santa Maria delle Grazie in Rimini. Doch entstanden sie nicht in Italien, sondern um 1430 in einer auf Alabaster spezialisierten Werkstatt in den südlichen Niederlanden, möglicherweise in Brügge. Die stark ornamental aufgefassten Bildwerke folgen noch weitreichend den formal-ästhetischen Idealen des sogenannten Schönen Stils, der aufgrund seiner europaweiten Verbreitung zwischen ca. 1370 und 1430 auch als Internationaler Stil bekannt ist. Doch in der realistischen Wiedergabe mancher anatomischer und physiognomischer Details, vor allem in der schonungslosen Beschreibung der gebrochenen und verrenkten Gliedmaßen der Schächer, ist zugleich ein stilistischer Wandel spürbar. Hier offenbart sich ein bis dato unbekanntes Interesse an Naturbeobachtung, welches sich auch in der damaligen niederländischen Malerei Jan van Eycks, Robert Campins oder Rogier van der Weydens beobachten lässt und wegbereitend für die neue Kunst der folgenden Jahrzehnte war.
Betrachtet man den Altar aus konservatorisch-restauratorischer Perspektive, so fällt sofort die starke Diskrepanz zwischen der enormen kunsthistorischen Bedeutung und dem derzeit anzutreffenden, unbefriedigenden Konservierungszustand auf. Der letzte größere Eingriff erfolgte in den späten 1960er-Jahren. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich heute jedoch, dass der Alabaster aufgrund noch verbliebener Schmutzreste und gilbender Überzüge seine spezifische transluzide Wirkung, die den besonderen Reiz des Materials ausmacht, nicht entfalten kann. Zudem stellt sich heute das Problem, dass die damals verwendeten Konservierungsmaterialien nicht nur an der Oberfläche verblieben, sondern tief in die Steinsubstanz eindrangen. Dort härten sie immer stärker aus und verspröden zunehmend, sodass dringender Handlungsbedarf besteht.
Vor allem aber erfolgte bei der letzten Restaurierung zusätzlich ein massiver, struktureller Eingriff in die Substanz, bei dem aus rein ästhetischen und subjektiven kunsthistorischen, objektiv und kunsttechnologisch aber nicht haltbaren Erwägungen heraus das originale Erscheinungsbild der zentralen Kreuzigungsgruppe entscheidend verändert wurde: Der Kreuzesstamm wurde durch Ergänzungen aus Modellgips und Eisenarmierungen um mehr als einen halben Meter, der Kreuzbalken um einige Zentimeter verlängert. Doch handelt es sich dabei nicht nur um ein ästhetisches Problem, denn die damalige Materialwahl stellt uns heute vor drastische konservatorische Probleme: Sie führte nicht nur zu starker Korrosion, sie evozierte auch einen dramatischen Verlust statischer Stabilität. Der Eingriff bedingte deshalb auch die weitgehende Unmöglichkeit, das Objekt schadlos im musealen Alltag zu bewegen, was im Rahmen der laufenden Wechselausstellungstätigkeit des Liebieghauses aber unbedingt notwendig ist. Darüber hinaus verhinderte die Fragilität des Kreuzes auch jegliche Möglichkeit, das Stück auszuleihen und international zu präsentieren.
Derzeitiger "verlängerter" Zustand des Rimini-Altars (links) und der Zustand vor 1967 (rechts)
Zu guter Letzt fehlte bislang auch eine grundlegende kunsttechnologische Untersuchung des Ensembles. Die nun begonnenen und für den Zeitraum der nächsten zwei bis drei Jahre angelegten Arbeiten am Rimini-Altar haben daher als erstes zur Aufgabe, im Vorfeld der Restaurierung den gesamten Werkbestand exakt technologisch zu untersuchen und zu dokumentieren. Dies beinhaltet unter anderem eine genaue Bestandsanalyse des Steinmaterials und eine bisher noch nicht systematisch durchgeführte Untersuchung der Figuren nach Resten alter Polychromie.
Restaurator Miguel González de Quevedo Ibáñez bei der Arbeit
Auszug aus der Bestands- und Schadenskartierung eines Apostels
Da Alabaster zu den empfindlichsten Steinsorten zählt und deshalb viele gängige Methoden der Steinrestaurierung von vornherein ausscheiden, müssen zunächst zahlreiche Testreihen angelegt werden, um die möglichst schonende restauratorische Behandlung des Objekts zu garantieren. Mit einer Schauwerkstatt im Museum, begleitet von einem Film, später auch Didaktik-Vitrinen sowie auf der Website veröffentlichten Untersuchungs- und Restaurierungsergebnissen wollen wir dem interessierten Publikum die Möglichkeit bieten, die weiteren Arbeitsschritte im Projektverlauf kontinuierlich mitbegleiten und miterleben zu können.
Das Restaurierungsprojekt zum Rimini-Altar wird gefördert durch die Ernst von Siemens Kunststiftung im Rahmen der Initiative „Kunst auf Lager“.