Das Farbenspiel der Musen und des Kuros

Die sehr lebendig ausgeformten Frankfurter Musen wurden in späthellenistischer Zeit (gegen 100 v. Chr.) gefertigt. Auf ihren aus Marmor geformten Gewändern finden sich zahlreiche Farbspuren.

Meine Schülerin Clarissa Blume, die mit einer umfangreichen Arbeit zur Farbigkeit der hellenistischen Marmorskulptur promoviert wurde, hat die Farbreste zusammen mit dem Physiker und Restaurator der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen eingehend untersucht und die Ergebnisse in einer gezeichneten Rekonstruktion vorgestellt. Das Liebieghaus hat diese Initiative aufgegriffen, eine der Musen gescannt und in Originalgröße dreidimensional gedruckt, um diese Kopie mit den originalen Farben zu fassen. Hierzu waren einige Nachuntersuchungen notwendig, um tatsächlich alle Fragen zu beantworten, die erst durch eine größengleiche Kopie aufgeworfen wurden. Bei den naturwissenschaftlichen Untersuchungen wurden sehr freche Farbtöne ermittelt, die für den Späthellenismus typisch sind: Es dominieren ein kräftiges Rosa und ein lebhaftes Hellblau, also Krapplack und Ägyptisch Blau.

Ein Ermittlerteam in New York

Gleich zu Beginn des letzten Jahres haben wir uns mit Kollegen des Metropolitan Museum of Art vor dem sogenannten New Yorker Kuros getroffen. Diese eindrucksvolle archaische Marmorfigur eines nackten jungen Mannes war Anfang des 20. Jahrhunderts angekauft worden; die reichen, noch erhaltenen Farbreste sind bis heute sehr pfleglich behandelt worden. Dr. Heinrich Piening von der Bayerischen Schlösserverwaltung gelang es in Zusammenarbeit mit der Klassischen Archäologin und Polychromie-Spezialistin Dr. Ulrike Koch-Brinkmann, die Farben des Körpers und der Schmuckelemente zu bestimmen. Demnach war die gesamte nackte Haut mit einem orangebraunen Ocker überzogen, die Brustwarzen mit in Krapplack versetztem roten Ocker, Haar- und Halsband in leuchtendem roten Ocker gefasst. Im Kopfhaar haben sich reiche Reste eines schwarzbraunen Eisenoxyds nachweisen lassen.

Das Verhalten der Marmoroberfläche in der UV-Strahlung hat darüber hinaus gezeigt, dass die Brauen und das kunstvoll rasierte Schamhaar in Azuritblau gefasst waren. Auch konnten die Vorritzungen der als Sonnenrad stilisierten Körperhaare, die die Brustwarzen umgeben, fotografisch dokumentiert und ausgewertet werden. Diese Untersuchungsergebnisse fließen mit älteren Erkenntnissen zusammen, die ich in den letzten 35 Jahren an den vielen anderen archaischen Marmorkouroi in den Sammlungen der Welt gewinnen konnte. Hieraus entstand die Farbrekonstruktion an einem Gips. Auch heute noch sind wir von der irritierend verlebendigenden Wirkung beeindruckt.

Autor:

Prof. Dr. Vinzenz Brinkmann

Leiter der Abteilungen Antike und Asien

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