Das Liebieghaus hat ein beeindruckendes Meisterwerk des spanischen Barock erworben – eine „Inmaculada Concepción“ von Pedro de Mena. Im zweiten Beitrag zum Meisterwerk beleuchten die Restauratoren des Liebieghauses Harald Theiss und Miguel González de Quevedo Ibáñez die detaillierten Voruntersuchungen der Skulptur.
Die neu erworbene Inmaculada von Pedro de Mena wird im Rahmen eines mehrjährigen, von der Ernst von Siemens Kunststiftung geförderten Projektes in der Restaurierungswerkstatt der Liebieghaus Skulpturensammlung bearbeitet. Ziel ist es vor allem, die qualitätvolle originale Bemalung der Skulptur von ihren minderwertigen Übermalungen zu befreien. Darüber hinaus sollen die Schäden an Schnitzerei und Farbfassung behandelt und die heute verlorene Sockelkonstruktion sowie der Strahlenkranz der Figur anhand von Vergleichsbeispielen rekonstruiert werden.
Wie in der Chirurgie werden auch bei der Restaurierung vor dem eigentlichen Eingriff eine genaue Anamnese und zahlreiche Voruntersuchungen am zu behandelnden „Patienten“ durchgeführt. Erst nach Auswertung der dabei gewonnenen Ergebnisse kann eine konservatorische und kunsttechnologische Diagnose erstellt werden, auf deren Grundlage ein möglichst schonendes Restaurierungskonzept erarbeitet wird.
An erster Stelle steht die visuelle Voruntersuchung. Diese wurde im Fall der Inmaculada des Liebieghauses sowohl mit bloßem Auge als auch unter dem Stereomikroskop durchgeführt. Bereits hier konnte ein grober Eindruck von der aufwendigen Konstruktion und dem Erhaltungszustand der Holzkonstruktion gewonnen werden. Zudem stellte sich heraus, dass es sich bei den Farbschichten unter den Übermalungen um die ursprüngliche barocke Bemalung handelt. Ein Glücksfall, denn in der Regel wurden ältere Farbschichten bei der Neubemalung von Skulpturen oft abgelöst oder bis zur Unkenntlichkeit beschädigt.
Parallel zur visuellen Untersuchung erfolgte eine Fotodokumentation und eine dreidimensionale Erfassung der Schäden mittels Photogrammmetrie. Das erstellte digitale 3D-Modell hat den großen Vorteil, dass auch stark hinterschnittene oder schwer einsehbare Bereiche der plastischen Form erfasst werden können.
Das Video zeigt, wie der Ausgangszustand und die Schäden der Skulptur vor den Eingriffen mit Hilfe der Photogrammetrie dreidimensional erfasst werden.
Ein Nachteil der optischen Voruntersuchung ist, dass sie nur die freiliegende Oberfläche der Skulptur erfasst. Viele Erkenntnisse lassen sich jedoch erst durch das Betrachten der inneren Strukturen gewinnen. Besonders bei komplexen Holzkonstruktionen wie der Frankfurter Inmaculada empfiehlt sich die Nutzung von Computertomographie und Röntgenaufnahmen. Dank der Medizinischen Versorgungszentren Dr. Neumaier & Kollegen in Regensburg konnten Computertomographie-Aufnahmen angefertigt werden. Diese zeigten alle Fugen des aus vielen Holzteilen zusammengesetzten Werkblocks.
Das Video zeigt eine computertomographische Aufnahme durch die Seitenansicht der Inmaculada von Pedro De Mena.
Bei Pedro de Menas Skulpturen wird diese Technik handwerklich perfektioniert. So zeigt sich, dass allein der separat geschnitzte und in den Rumpf eingesetzte Schädel unserer Figur mit einem Durchmesser von nur 5,5 Zentimetern aus mehreren verleimten Holzstücken besteht.
Computertomographie des Kopfes der Inmaculada von Pedro de Mena. Deutlich ist zu erkennen, dass der in den Rumpf eingelassene Schädel aus mehreren verleimten Holzteilen (grün markierte Fugen) und einer von hinten ausgehöhlten Maske besteht (rot markiert), in die von hinten schüsselförmige Glasaugen (blau markiert) eingesetzt wurden.
Deutlich erkennbar ist auch das maskenartig ausgehöhlte vordere Gesichtsholzstück mit rückseitig eingeklebten gläsernen Halbkugeln, die mit einer Iriszeichnung hintermalt sind. Solche Glasaugen waren im spanischen Barock ein häufig verwendetes Gestaltungsmittel, um die realistische Wirkung von Skulpturen zu steigern.
Auch die vielen separat geschnitzten Haarsträhnen und die zwiebelschalenartig auf den Werkblock aufgesetzten Teile der Gewanddraperie konnten eindeutig erfasst und ihre Befestigung auf Originalität geprüft werden. Ebenso lassen sich die zahlreichen Nägel und Kittungen, die bei späteren Restaurierungseingriffen verwendet wurden, anhand der CT-Aufnahmen genau lokalisieren.
Diese Informationen sind für uns Restauratoren sehr wertvoll, um derartige nachträgliche Zutaten möglichst schonend zu entfernen. Mit Hilfe der Computertomographie konnte auch die Wolke, auf der die Frankfurter Inmaculada steht, eindeutig als spätere Ergänzung identifiziert werden: Sie ist nicht nur aus einem Stück Holz gefertigt, sondern verläuft auch über dem originalen Befestigungskanal, mit dem die Figur einst mittels einer eisernen Gewindestange auf ihrem Sockel befestigt war.
Besonders auffällig ist die CT-Aufnahme der Mondsichel, die ein Gesicht zeigt, das durch die Wolke verdeckt wird – ein Merkmal, das typisch für Skulpturen des Inmaculada-Typs von De Mena ist.
Computertomographische Aufnahmen im horizontalen Querschnitt durch die Mondsichel. Deutlich sind die Augen des Mondgesichts zu erkennen, welches heute durch die später hinzugefügte Wolke verdeckt wird (grün markiert).
Originale Sockelung und Mondsichel mit Gesicht an einer Virgen Inmaculada, Pedro de Mena, 1680, Inventarnummer CE2968/001, aus dem Nationalmuseum für Skulptur in Valladolid während ihrer Restaurierung im Institut für Denkmalpflege in Madrid, © Instituto del Patrimonio Cultural de España (IPCE), Ministerio de Cultura y Deporte, Foto: David Valera Palomar
Mit Hilfe der Computertomographie können wir auch den Erhaltungszustand der barocken Farbfassung unter den späteren Übermalungen beurteilen. Die Scans zeigen im Gesicht eine kräftige Augenbrauenzeichnung, typisch für De Menas Mariengesichter, und nur wenige Fehlstellen in der Hautmalerei.
Um geeignete Restaurierungsverfahren auszuwählen oder zu entwickeln, müssen die bei der Herstellung und späteren Restaurierungen verwendeten Materialien bekannt sein. Dazu werden kleinste Materialproben entnommen und naturwissenschaftlich untersucht.
Zur Bestimmung der Holzarten wurden am Thünen-Institut für Holzforschung in Hamburg Schliffpräparate makroskopisch und lichtmikroskopisch untersucht und mit Vergleichsexemplaren verglichen. Es wurde festgestellt, dass die Gewanddraperie, der Kopf der Jungfrau und die Mondsichel aus Kiefernholz (Pinus cf. sylvestris/nigra) gefertigt sind, einem im 17. Jahrhundert häufig verwendeten Material in spanischen Bildhauerwerkstätten. An den Händen und Haarsträhnen konnte die in der Bildhauerei Menas bisher unbekannte Holzart Oleander (Nerius cf. Oleander) nachgewiesen werden.
Die Proben zur Bestimmung der Farbmaterialien und Bindemittel der originalen Farbfassung und der späteren Kittungen und Übermalungen wurden vom kunsttechnologischen Labor der Hochschule der Künste Bern durchgeführt. Dazu wurde das Probenmaterial in ein spezielles Kunstharz eingegossen und angeschliffen. Diese so genannten Querschliffe wurden anschließend mittels Lichtmikroskopie (VIS/UV) und Rasterelektronenmikroskopie (REM - BSE) unter verschiedenen Beleuchtungen untersucht und dokumentiert. Die Analyse der verschiedenen Pigmente bzw. Bindemittel erfolgte mittels Infrarotspektroskopie (FTIR-ATR) und IR-Spektroskopie (Chemical Imaging) FTIR-FPA sowie Röntgenspektroskopie (REM-EDS).
Die Ergebnisse bestätigten, dass die unterste Farbschicht die originale barocke Bemalung ist, die auch bei anderen Skulpturen von Pedro de Mena zu finden ist. Gleichzeitig wurde der genaue Schichtaufbau und die Zusammensetzung der Grundierungs- und Farbschichten ermittelt, was für die Entwicklung der komplizierten Abnahme der Übermalungen mit mechanischen und chemischen Verfahren unerlässlich ist. Die Untersuchungen zeigen, dass die späteren Überarbeitungen der Skulptur zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgt sein müssen. Die jüngste kann aufgrund der Materialwahl, aber auch der porzellanpuppenartigen Ästhetik der Hautbemalung zeitlich zwischen der Mitte des 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts eingeordnet werden.
Nach den kunsttechnologischen und naturwissenschaftlichen Voruntersuchungen steht fest, dass sich die barocke Farbfassung nicht nur im Farbkonzept von der späteren Übermalung unterscheidet, sondern diese auch in ihrer künstlerischen und technischen Qualität weit übertrifft. Unter den kunststoffartig glänzenden Farbanstrichen der Skulptur hat sich geradezu ein Paradebeispiel der hochkarätigen Fasstechnik Pedro de Menas erhalten. Diese wird in einem kommenden Beitrag ausführlich vorgestellt und mit den ersten Freilegesondierungen illustriert. Auch die entwickelten Verfahren zur Abnahme der Übermalung werden dort ausführlich erläutert.