Provenienzforschung im Liebieghaus: Die Erwerbungen der städtischen Skulpturensammlung seit 1933

Von Mai 2015 bis Mai 2018 untersuchte die Liebieghaus Skulpturensammlung die Herkunft der nach 1933 erworbenen Objekte in ihrem Bestand. Es wurde geprüft, ob sich darunter Stücke befinden, die jüdischen Vorbesitzern während der Zeit des Nationalsozialismus unrechtmäßig entzogen wurden. Das dreijährige Forschungsprojekt wurde vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg und der Stadt Frankfurt gefördert.

Das Projekt

Die 1907 gegründete Städtische Skulpturensammlung verfügt heute über einen Bestand von ca. 2.800 Werken. Das Konzept dieser Sammlung, das Skulpturen Ostasiens, Ägyptens, der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert auf einzigartige Weise vereint, geht auf den damaligen Direktor des Städelschen Kunstinstituts und Gründungsdirektor der Städtischen Galerie, Georg Swarzenski (1876–1957) zurück. Swarzenskis Fachgebiet war die mittelalterliche Kunst. Der größte Teil der Liebieghaus-Bestände wurde in den 1910er- und 1920er-Jahren in die Sammlung aufgenommen und ist geprägt durch die Persönlichkeit Swarzenskis, seine Sammlungsstrategien sowie seine Beziehungen zu privaten Mäzenen. Über 80% des heutigen Liebieghaus-Bestands gingen bereits vor 1933 in die Sammlung ein. Swarzenski wurde im April 1933 aus seinem Amt als Generaldirektor der Städtischen Museen aufgrund seiner „jüdischen Abstammung“ entlassen. Er musste 1938 in die USA fliehen.

Mehr als zwei Drittel der in den Jahren 1933 bis1945 unter der Direktion von Swarzenskis Nachfolger Alfred Wolters (1884–1973, ab 1928 Leiter der Städtischen Galerie) durch die Stadt Frankfurt erworbenen Objekte – circa 470– stammten aus verfolgungsbedingt zustande gekommenen Veräußerungen jüdischer Privatsammlungen. Der Sammlungsschwerpunkt lag in diesen Jahren auf der „alten deutschen Kunst.“ Bereits 1936 wurde durch den Oberbürgermeister Friedrich Krebs (1894–1961) ein Etat für die städtischen Museen bereitgestellt, um den Ankauf von Kunstwerken aus jüdischem Besitz zu ermöglichen.

Zwischen den Jahren 1940 und 1942 kamen 14 Skulptur-Erwerbungen hinzu, die in den besetzten Gebieten, in Frankreich und Holland, im Auftrag der Stadt Frankfurt von Ernst Holzinger (1901–1972), dem Direktor des Städel Museums, für das Liebieghaus getätigt wurden.

Sowohl Wolters als auch Holzinger waren während der NS-Zeit als Sachverständige für Kunstwerke aus jüdischem Besitz tätig: Ab 1939 wurde Wolters im Auftrag der Devisenstelle offizieller Sachverständiger für die Bestimmung national wertvollen Kulturguts. Holzinger fungierte im Auftrag der Reichskulturkammer als Sachverständiger für die „Sicherung und Verwertung von deutschem Kulturgut aus jüdischem Besitz.“ Nach 1945 blieb Wolters ebenso wie sein Kollege Holzinger weiterhin im Amt.

Heute befinden sich von den Erwerbungen der Jahre 1933 bis1945 noch 153 Objekte im Bestand des Liebieghauses. Die restlichen Stücke wurden unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge der alliierten Rückerstattungsgesetzgebung restituiert.
Seit der Nachkriegszeit bis heute kamen etwa 200 weitere Objekte zum Bestand des Liebieghauses hinzu, die nach 1933 erworben wurden.

Die Herkunft und Geschichte dieser insgesamt mehr als 350 Werke sollte im Rahmen eines dreijährigen Forschungsprojekts systematisch erschlossen werden, mit dem Ziel möglicherweise oder eindeutig belastete Objekte identifizieren zu können. Ein besonderes Anliegen war darüber hinaus die Aufarbeitung der Geschichte der Institution und deren Ankaufspolitik in den Jahren 1933 bis1945 sowie der kulturpolitische Kontext der unmittelbaren Nachkriegszeit und der in diesen Jahren erfolgten Rückerstattungen. Diese historische Aufarbeitung der NS- und Nachkriegszeit sollte insbesondere auch die Beziehungen zu jüdischen Privatsammlern thematisieren, die in der bisherigen Forschung zur Sammlungsgeschichte des Liebieghauses nur sehr wenig berücksichtigt wurden.

Die Ausstellung

Die aus dem Projekt heraus entwickelte Sonderausstellung Eindeutig bis zweifelhaft ermöglichte einen Einblick in die Ergebnisse der Provenienz- und Kontextforschung. Sie wurden mittels eines Parcours durch die drei Hauptabteilungen der Skulpturensammlung – Antike, Mittelalter und Renaissance bis Klassizismus – präsentiert. Die Ausstellung thematisierte die Herkunft von insgesamt zwölf Skulpturen, die nach 1933 in die Sammlung des Liebieghauses gelangten. Im Fokus standen die während der NS-Zeit getätigten Erwerbungen und die mit diesen Erwerbungen verknüpften Geschichten: Zum einen ging es um die Biografien der Menschen, die die Skulpturen einmal besaßen, zum anderen um die Handlungsweisen und Motive der verantwortlichen Direktoren und Sammlungsleiter, welche die Erwerbungen tätigten. Ausgewählt wurden sowohl rechtmäßige als auch unrechtmäßige Erwerbungen. Der Schwerpunkt lag jedoch auf Provenienzen, die jüdische Besitzer betreffen: Carl von Weinberg, Harry Fuld, Agathe und Ernst Saulmann, Julius Heyman, Max von Goldschmidt-Rothschild, Emma Budge, Rosmarie Sommerlat und Oswald und Alice Feis. Lücken in der Provenienz und offene Fragen wurden in der Ausstellung bewusst als solche thematisiert.

Zur Ausstellung wurden unter anderem ein Katalog mit Chronologie in deutscher Sprache, eine Broschüre in englischer Sprache und ein zweisprachiges Digitorial veröffentlicht. Verschiedene Blog-Beinträge wurden zu ausgewählten Themen ebenfalls publiziert.

Historische Verantwortung

Die Grundlage für die Provenienzforschung bildet die Ende des Jahres 1998 auf der „Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust“ in Washington formulierte „Washingtoner Erklärung“, die insgesamt 44 Teilnehmerstaaten und 13 nichtstaatliche Organisationen unterzeichneten. Es handelt sich bei dieser Erklärung um elf ethische Richtlinien in Bezug auf den Umgang mit verfolgungsbedingt entzogenem Kunst- und Kulturgütern in den Beständen staatlicher Museen und Sammlungen. Die betreffenden Objekte sollen identifiziert und während der NS-Zeit erfolgte Unrechtsmaßnahmen rückgängig gemacht werden. Die BRD hat gemeinsam mit den Ländern und Kommunen im Dezember 1999 eine zusätzliche Selbstverpflichtungserklärung in Bezug auf die Umsetzung der „Washingtoner Erklärung“ verabschiedet, die sogenannte „Gemeinsame Erklärung“.

In Reaktion auf die Washingtoner Prinzipien wurde in Deutschland von der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg die sogenannte „Lost Art-Internet-Datenbank“ eingerichtet. Auf dieser kann unter anderem im Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, insbesondere aus jüdischem Besitz (sog. NS-Raubgut), als Fund- oder Suchmeldung registriert werden. Die Datenbank wird heute vom 2015 gegründeten Deutschen Zentrum Kulturgutverluste betrieben.

Seit Verabschiedung der „Washingtoner Erklärung“ konnten aus der städtischen Skulpturensammlung im Liebieghaus bisher fünf Objekte an die Erben der ehemaligen jüdischen Besitzer restituiert werden.

Spuren suchen und finden

Wie ging die Provenienzforschung in diesem Projekt vor? Welche Methoden und Ziele verfolgte sie? Zunächst wurde das Inventarbuch des Liebieghauses aufgeschlagen und das Objekt selbst gemeinsam mit den Restauratoren des Hauses im Labor unter die Lupe genommen: Finden sich dort Inschriften, Aufkleber, Stempel, Siegel oder Ähnliches? Möglicherweise ergeben sich hieraus schon Hinweise auf die Geschichte eines Objekts und dessen Vorbesitzer: eine Galerie oder ein Auktionshaus, eine Ausstellung oder eine Sammlung, die weitere Recherchen möglich und nötig machen. Unter diesem Fokus wurde jede in der Institution vorhandene Objektinformation gesammelt und ausgewertet. Dann wurden die hauseigenen Überlieferungen im Städel-Archiv überprüft: Gibt es Rechnungen, Quittungen, Korrespondenz zur Erwerbung, Notizen, Fotos, Auktionskataloge? Welche weiteren Archive wie zum Beispiel das Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt, das Hessische Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden, das Zentralarchiv in München, das Bundesarchiv in Koblenz, um nur einige zu nennen, können Quellen zu dem Objekt liefern?

Mit jedem untersuchten Objekt wurden auch die Geschichte seiner ehemaligen Besitzer und deren individuelles Schicksal dokumentiert. So fand Anna Heckötter, die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts, mit Hilfe von historischen Adressbüchern und der Einwohnermeldekartei, über Fotografien und Briefe biografische Spuren der Menschen, die einst eine Skulptur oder eine große Sammlung besaßen.

Transparenz der Forschungsergebnisse

Von mehr als 350 zu bearbeiteten Objekten konnten für circa 2/3 des zu erschließenden Bestands die Provenienzrecherchen abgeschlossen werden. Für die restlichen Objekte sind die Forschungen noch in Bearbeitung und werden sukzessive veröffentlicht.

Die Provenienzangaben der bisher bearbeiteten Objekte sind als Ergebnisdokumentation verfügbar. Sie sind ebenfalls über die Forschungsdatenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste zugänglich.

Das Wissen um die Geschichte eines Kunstwerks kann sich im Laufe der Zeit z.B. durch neue Quellenfunde und Erkenntnisse ändern. Daher ist die Provenienzforschung am Museum fest verankert und wird kontinuierlich und proaktiv weiterbetrieben. Bei Fragen und Anmerkungen zur Provenienz unserer Skulpturen wenden Sie sich bitte an:

Autor:

Dr. Iris Schmeisser

Leiterin Provenienzforschung und historisches Archiv

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