In den Arbeiten der österreichischen Künstlerin Siegrun Appelt nimmt Licht bzw. das Zusammenspiel von Licht, Schatten und Dunkelheit in seinen funktionalen und ästhetischen Aspekten eine zentrale Rolle ein. Für die Liebieghaus Skulpturensammlung und den umgebenden Garten setzte sie 2016 ein eigenes Licht-Projekt um. Im Gespräch erzählt Siegrun Appelt von ihrer Arbeitsweise, der Begegnung mit dem Liebieghaus und der Sensibilisierung für die faszinierende Vielfalt des Lichts.
Wie haben Sie sich dem Liebieghaus und seinem Garten in Vorbereitung auf das Projekt genähert?
Das neue Licht für das Liebieghaus unterliegt den Kriterien von „Langsames Licht / Slow Light“, einem künstlerischen Konzept, das ein gesellschaftliches Umdenken in Bezug auf den Umgang mit Licht zum Ziel hat. Es geht dabei sowohl um die Erforschung von Möglichkeiten des nachhaltigen Einsatzes neuer Technologien als auch um die Entwicklung ästhetischer Formen, die auf subtile Weise ein räumliches wie auch sinnliches Wahrnehmen erlauben. Um den nächtlichen Raum zu sehen und auch zu spüren, hilft ein gut überlegtes Zusammenspiel dessen, was sichtbar gemacht wird, und dessen, was im Verborgenen bleibt. Ein erster Schritt bei allen raumgreifenden Arbeiten ist die Bestandsaufnahme des Ortes – seiner historischen, architektonischen, kulturellen Werte und seiner Funktion. Ich entscheide letztlich immer im Gespräch und anhand von Lichttests gemeinsam mit den Verantwortlichen vor Ort, in welche Richtung ein Projekt geht und auch wie sehr zurückhaltend es sein darf.
Was zeichnet in Ihren Augen das Gebäude und den Gartenbereich aus?
Das Liebieghaus und die Gartenanlage bilden mitten in der Stadt eine Art Oase, in der sich die Hektik des Alltags verflüchtigt. Die ursprünglich private Anlage stammt aus dem späten 19. Jahrhundert und wird seit Beginn des 20. Jahrhunderts als Museum geführt. Die Außenraum-Beleuchtung behutsam dem historischen Ort und der heutigen Nutzung anzupassen, war eine anspruchsvolle Aufgabe. Der Charakter des Privaten ist bis heute erhalten geblieben. Das Lichtkonzept greift dieses Miteinander von privat und öffentlich auf. Die künstliche Beleuchtung verhält sich dezenter als im umgebenden städtischen Bereich, der Blick wird auf die Besonderheiten von Gebäude und Garten gelenkt, gleichzeitig ermöglicht das Licht den Aufenthalt und die Fortbewegung auf dem Gelände.
Welche ästhetischen und welche funktionalen Erwägungen haben in Ihrer Arbeit für das Liebieghaus eine tragende Rolle gespielt? Hat am Ende die Ästhetik oder die Funktionalität die Oberhand gewonnen?
Die Funktion behält immer die Oberhand – alles andere wäre Luxus, den wir uns auf Dauer nicht leisten können. Nun kann man darüber diskutieren, wie viel und welches Licht für die funktionalen und menschlichen Bedürfnisse notwendig ist. Das zu beantworten ist jedoch schwierig, denn die Lichter beeinflussen sich gegenseitig, sowohl ästhetisch als auch funktional. Ästhetik und Funktionalität greifen ineinander, wenn eine ästhetisch wertvolle Lösung rein funktionale Anforderungen erfüllt. Außerdem wirkt Ästhetik positiv auf die gefühlte Sicherheit an Orten.
Wird hingegen das Licht selber mit Hilfe des Vorhandenen in Szene gesetzt, dann spreche ich von einer Ästhetik, deren Funktion mir im Sinne der Nachhaltigkeit fragwürdig erscheint. Diese Form der Ästhetik findet keinen Einzug in die Projekte von „Langsames Licht / Slow Light“. Leider nimmt sie weltweit in rasantem Tempo zu. Es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen. Ich unterscheide deshalb beim Licht zwischen einer „nützlichen Ästhetik“, einer „funktionalen Ästhetik“ und einer „Ästhetik des Überflusses“.
Wie spielen Licht und Schatten, Helligkeit und Dunkelheit in Ihrer finalen Beleuchtung ineinander?
Als Folge der Lichtverschmutzung (einer Omnipräsenz künstlicher Beleuchtungen und Abstrahlung des Lichts in alle Richtungen) sprechen mittlerweile viele davon, lieber den Schatten zu planen und nicht das Licht. Das halte ich für reine Koketterie oder Unwissenheit. Ich sehe das unbedingt in Abhängigkeit mit der jeweils vorhandenen Situation. Wenn viel Licht da ist, dann ist es sinnvoll, den Schatten in dieses Licht hinein zu planen, und wenn kein Licht da ist, dann empfehle ich, sich über die Planung von Licht Gedanken zu machen. Jedenfalls sind Licht und Schatten, auch Dunkelheit untrennbar miteinander verbunden, weshalb ich es für notwendig halte, alle diese Elemente gleichwertig zu behandeln, genau aufeinander abzustimmen und je nach Situation, Anforderung und Kontext zu agieren. Nur flächendeckend hell zu beleuchten, wie es mancherorts die Normen verlangen, entzieht Räumen wie auch Objekten ihre Vielfalt und ihren Charakter. Begründet werden solche Konzepte mit mehr Sicherheit bei der Fortbewegung. Diese Konzepte ignorieren die Vielschichtigkeit der menschlichen Wahrnehmung: Wir nehmen assoziativ wahr – alle eintreffenden Sinnesreize werden sofort mit der eigenen Erfahrungswelt abgeglichen. Da gehört das Hören und Fühlen genauso dazu wie das Sehen. Und es gibt körperliche Grenzen der Wahrnehmung: Wenn es rundum laut ist, dann nehmen wir eher wahr, was hell ist. Die Intensität erzeugt auch Stress. Es gehen also insgesamt die feinen Zwischentöne und somit wertvolle Informationen verloren, wenn alles rundum lauter und heller wird. Diese Tendenz ist leider steigend.
In welches Verhältnis setzt Ihr Beleuchtungskonzept das Areal von Liebieghaus und Garten zum umgrenzenden städtischen Außenbereich?
Beim Projekt Liebieghaus ist für die Beleuchtung der Fassaden, des Gartens und der Wege ein Lichtsystem von Zumtobel eingesetzt. Je nach Bedarf habe ich die einzelnen Leuchtenelemente mit verschieden langen Abblendröhren ergänzt, um zielgerichtet und mit minimierter Blendung arbeiten zu können. Die vorhandenen städtischen Laternen – klassische Kugelleuchten – bleiben bestehen, jedoch ist das Licht innerhalb der Kugeln so sehr gedimmt, dass sie zu zart schimmernden Objekten werden und kein unnötiges Abstrahllicht mehr produzieren. Die Lichtfarbe ist variabel. An den Masten sind die neuen Leuchten befestigt, die nunmehr Funktionalität und Ästhetik des Beleuchteten bestimmen. Eine weitere Lichtebene bringt das Abstrahllicht der Straßen- und Wegebeleuchtung von außerhalb ins Innere des Liebieghaus-Gartens. Das öffentliche Licht wird an den Stellen, an denen es in den Garten gelangt, als Basislicht in das Lichtkonzept involviert. Diese Form des „Lichtrecycling“ wird bei den Projekten von „Langsames Licht / Slow Light“ nach Möglichkeit immer eingesetzt.
Was bedeutet „Lichtrecycling“ und wie kommt diese Methode in Ihren Arbeiten zum Einsatz?
Der Begriff „Lichtrecycling“ wird in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Z. B. bei phosphoreszierenden Pigmenten als einem Material, das die Energie des Lichtes speichert und in Form von Licht wieder abgibt. Oder beim Umtausch von Energiesparlampen in neue Leuchtmittel. Im Kontext von „Langsames Licht / Slow Light“ habe ich gemeinsam mit der Berliner Soziologin Dr. Michaela Christ eine neue Verwendung für diesen Begriff kreiert. Wir waren vor einigen Jahren zu einem städtischen Wettbewerb geladen, bei dem ein Platz neu gestaltet werden sollte. Als wir über das Licht für den Platz nachdachten, fiel uns auf, wie sehr alleine durch das Abstrahllicht der Umgebungsbeleuchtung schon genügend Helligkeit vorhanden war. Deshalb entschieden wir, dieses Licht als Basisbeleuchtung bei uns zu integrieren und benannten dieses Konzept „Lichtrecycling“. Aufgrund der fehlenden Ästhetik des abstrahlenden Umgebungslichts und des dadurch entstehenden Gefühls der Unsicherheit wurde das bestehende Licht an wenigen Stellen durch neue Leuchten ergänzt, die Wohlbefinden und ein Gefühl der Sicherheit unterstützen. Seit damals ist Lichtrecycling ein wichtiger Bestandteil von „Langsames Licht / Slow Light“.
Inwieweit unterscheidet sich Ihre Beleuchtung für das Liebieghaus von vorhergehenden Projekten?
Jedes Projekt von „Langsames Licht / Slow Light“ ist individuell, weil es immer direkt mit den Orten, deren Inhalten und Funktionen arbeitet. Insofern ist es vielleicht einfacher nach dem zu fragen, was die Projekte verbindet. Hier komme ich auf eines der wichtigsten Ziele von „Langsames Licht / Slow Light“ zu sprechen: nämlich theoretische Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaften und technologische Innovationen in praxisorientierte Projekte einfließen zu lassen. An der Schnittstelle von der Theorie zur Praxis lauert meines Erachtens die Gefahr der Banalisierung, und es findet regelmäßig ein damit einhergehender Qualitätsverlust dessen statt, was möglich wäre. Tiefgreifende Erkenntnisse aus jahrelanger Forschungsarbeit bieten die Chance, daraus einen produktiven, nachhaltigen Nutzen zu ziehen. Das ist ein hoch komplexer Prozess, bei dem das Wissen aus der Forschung wirtschaftlichem Nutzen zugeführt wird. Verantwortlich für diesen Vorgang sind oft die Vertreter der Wirtschaft selber. Der Interessenskonflikt, der daraus entsteht, hat direkte Auswirkung auf die Gesellschaft. Insofern wäre es wünschenswert, wenn von politischer und wirtschaftlicher Seite her mehr entsprechend der Verantwortung gegenüber der Forschung und der Gesellschaft gehandelt werden würde. Doch hier stehen profitorientierte Ziele im Weg. Zudem scheitert es an der Komplexität der Anforderungen – eine schwer zu bewältigende Aufgabe. Darunter leidet die Wissenschaft, die Kreativität, deren Vertreter und schlussendlich unser gesamtes Ökosystem.
Was fasziniert Sie an der Arbeit mit Licht?
Mich faszinieren die Individualität und Vielfältigkeit von Licht sowie dessen Leben spendende wie auch zerstörerische Kraft. Licht ist immateriell und steht in enger Beziehung zu dem, was es beleuchtet. Was als schön oder hässlich, als angenehm oder unangenehm empfunden wird, ist immer auch kulturell, sozial und zeitlich geprägt. Je nach Situation, Konstellation und Befindlichkeit kann dasselbe Licht positiv wie auch negativ erlebt werden.
Was macht Ihren Umgang mit Licht als Künstlerin aus bzw. was macht Ihre Annäherung an Licht zu einer künstlerischen? Wie grenzen Sie sich zu rein funktional orientierten Beleuchtungen ab?
Die Grenze ist nicht definierbar. Bei meiner Herangehensweise spielen auch bei jenen Projekten, die ich für funktionale Nutzungen umsetze, meine Wahrnehmungserfahrungen als Künstlerin eine große Rolle. Dabei geht es darum, auszuloten, wieviel Licht es wirklich braucht, damit etwas im Zusammenspiel mit dem Umfeld wirkt. All die Projekte die recht „normal“ ausschauen, sind sehr präzise an die jeweiligen Gebäude und Situationen angepasst. Mit zurückhaltendem Licht zu arbeiten und auf malerische Weise die Struktur und Haptik der Bauten hervorzuholen, macht es ebenso zu Kunst wie die begleitende Diskussion zu den Projekten. Die Bevölkerung ist oft von Beginn an in den Arbeitsprozess eingebunden. Das ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, die ich als Künstlerin habe und auch gerne erfülle. Man kann sensibilisieren und dadurch den Weg zu neuen Konzepten bereiten.
An welchen neuen Projekten arbeiten Sie aktuell?
Aktuell arbeite ich an zwei größeren kommunalen Projekten, bei denen „Langsames Licht / Slow Light“ die Grundlage bildet. Ein Projekt findet in Ludwigsburg statt und eines in Lustenau. Ludwigsburg gehört zu den nachhaltigsten mittelgroßen Städten Deutschlands. Es besteht also großes Interesse an einem nachhaltigen und sinnvollen Umgang mit Licht.
2010 rief Siegrun Appelt das Projekt „Langsames Licht / Slow Light“ ins Leben. Bisher hat sie unter anderem im Kunsthaus Bregenz, in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, im Deutschen Pavillon der 11. Architekturbiennale Venedig, im Joanneum Graz sowie bei der Architekturbiennale Shenzhen ausgestellt.