„Die Skulpturen meines Großvaters“

Zwei Engel aus der Sammlung Dr. D. Rothschild konnten an seine Erben restituiert und dank ihres großzügigen Entgegenkommens für die Liebieghaus Skulpturensammlung wiedererworben werden.

Im März 1938 erwarb die Stadt Frankfurt zwei große, farbig gefasste Engelsfiguren aus dem Umkreis des Bildhauers Meinrad Guggenbichler für die Liebieghaus Skulpturensammlung. Sie gehörten einst dem jüdischen Arzt und Barocksammler Dr. David Rothschild. Im März 2023 konnten sie an seine Erben restituiert und dank ihres großzügigen Entgegenkommens für das Museum wiedererworben werden.

Zwei Engel aus der Sammlung Dr. D. Rothschild

Das Liebieghaus untersuchte die Herkunft der beiden Skulpturen erstmals im August 2016. Dies geschah im Rahmen eines systematischen Forschungsprojekts zu den Erwerbungen des Museums seit 1933. Es stellte sich heraus, dass die beiden Werke aus dem ehemaligen Besitz des Frankfurter Arztes David Rothschild stammten. Was mit ihnen während der NS-Zeit passierte, konnte jedoch damals nicht geklärt werden und blieb uneindeutig. Die vorläufigen Rechercheergebnisse wurden in der Ergebnisdokumentation auf der Website der Liebieghaus Skulpturensammlung veröffentlicht.

Die entscheidende Nachricht

Einige Jahre später erreicht das Museum eine Nachricht des Sporthistorikers Markwart Herzog. Er war auf die beiden Skulpturen aufmerksam geworden, als er zur Biografie David Rothschilds forschte. Denn David Rothschild war nicht nur einer der führenden Herz- und Lungenspezialisten seiner Zeit und leidenschaftlicher Barocksammler, sondern in den 1920er- Jahren auch als Funktionär im Frankfurter Fußballsportverein aktiv gewesen. Herzog hatte im Zuge seiner biografischen Forschung Kontakt zu David Walter Rothschild aufgenommen, dem in Kanada lebenden Enkel des jüdischen Arztes. Der engagierte Historiker stellte dem Liebieghaus nicht nur wichtige Quellen zur Verfügung, die einen maßgeblichen Beitrag zur Aufarbeitung und Klärung dieses Falls leisteten, sondern er stellte die Verbindung zu David Walter Rothschild, dem Enkel, her. Die beiden Skulpturen wurden daraufhin einer nochmaligen, intensiven Recherche unterzogen und das Verfolgungsschicksal David Rothschilds und seiner Familie umfassend untersucht.

Im Mai 2022 besuchte sein Enkel erstmals das Liebieghaus, um die beiden Engel aus der einstigen Sammlung des Großvaters zu besichtigen. Nachdem man sich über die Erkenntnisse der Provenienzforschung ausgetauscht hatte, beschloss man, gemeinsam eine faire und gerechte Lösung auf den Weg zu bringen. Dem Vertrauen und unermüdlichen Einsatz David Walter Rothschilds ist es zu verdanken, dass sich die insgesamt zehn Erben in relativ kurzer Zeit zu einer Entscheidung zusammenfinden konnten: Sie stimmten einmütig zu, dass die Liebieghaus Skulpturensammlung die beiden Engel zurückerwerben konnte.

Ein Sammler barocker Plastik

David Rothschild, geboren am 30. März 1875 in Frankfurt am Main, stammte aus einer angesehenen und kinderreichen Kaufmannsfamilie: Sein Vater Wilhelm Rothschild betrieb zunächst einen internationalen Schrotthandel, dann auch ein eigenes Stahlwerk. Zu der gleichnamigen Frankfurter Bankiersfamilie bestehen keine verwandtschaftlichen Beziehungen. Seine Mutter Stella Rothschild, geb. Schott war die Tochter eines Rabbiners und einer Schriftstellerin. Nach Abschluss seiner Promotion in Würzburg, zog David Rothschild um die Jahrhundertwende nach Bad Soden im Taunus und ließ sich dort als praktizierender Arzt nieder. 1917 erwarb er – seit 1912 mit Stephanie Abeles verheiratet – ein dreistöckiges Anwesen in der Bockenheimer Landstraße 124 in Frankfurt, in dessen Räumen er auch seine Praxis eingerichtet hatte. Wann und von wem David Rothschild die beiden Skulpturen erwarb, die einst Teil eines Altars oder Tabernakels waren, ist nicht bekannt. Bereits um 1890 und wohl noch während seiner Studienzeit, die er unter anderem in der Barockstadt Würzburg absolvierte, begann David Rothschild mit dem Sammeln barocker Plastiken.

1924 waren die Skulpturen – die im Laufe ihrer Geschichte ihre Zuschreibung änderten – Gegenstand einer wissenschaftlichen Publikation unter der Federführung Georg Swarzenskis, dem Gründungsdirektor der Liebieghaus Skulpturensammlung: „Meisterwerke der Bildhauerkunst in Frankfurter Privatbesitz“ lautete ihr Titel. Das Manuskript zu diesem Katalog befindet sich im Archiv des Museums und enthält für die Provenienzforschung äußerst wertvolle Angaben zu den Eigentümern, das heißt „den Frankfurter Privatbesitzern“ dieser Werke, die in der Publikation selbst nicht genannt werden. Der Eigentümer der beiden Engel war damals: „Dr. David Rothschild“. Historische Fotoaufnahmen der beiden Stücke, die für den Katalog angefertigt wurden, haben sich in den Objektakten des Liebieghauses erhalten. Sie zeigen die beiden 1,42 Meter hohen Skulpturen mit ihren dazugehörigen neo-barocken Sockeln und vermitteln einen Eindruck von ihrer damaligen Inszenierung in der Villa der Rothschilds.

Verfolgung und Flucht der Familie Rothschild

Spätestens seit den Jahren der Inflation und Wirtschaftskrise geriet das Ehepaar Rothschild jedoch in finanzielle Bedrängnis und hatte mit Steuerlasten zu kämpfen. Sie entschlossen sich, ihr mehrstöckiges Eigenheim umzubauen, um dort Mietwohnungen einzurichten. Da man Platz benötigte und wohl auch Kapital für die Umbaumaßnahmen, trennte sich der Arzt von Teilen seines Kunstbesitzes und gab diese im Dezember 1932 – also nur wenige Wochen vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten – bei der Frankfurter Zweigstelle des Versteigerungshauses Hugo Helbing in Auktion.

In dem in der Zeitschrift „Weltkunst“ vom 29. Januar 1933 veröffentlichten Bericht zu dieser Auktion waren allerdings nur ca. ein Viertel der 119 aufgerufenen Werke aus der „Sammlung Dr. D. Rothschild“ mit Preisangaben aufgeführt. Die beiden barocken Engel waren darin jedoch nicht gelistet. Sie waren offensichtlich unverkauft geblieben.

Mit dem Beginn der NS-Diktatur und nach dem Boykottaufruf gegen jüdische Ärzte verschärfte sich die finanzielle Situation für den bereits mit Schulden belasteten David Rothschild und seine Familie. Dies lässt sich aus den Steuerakten des Ehepaars rekonstruieren, die sich im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden erhalten haben: David Rothschilds Korrespondenz mit dem Frankfurter Finanzamt aus diesen Jahren verdeutlicht, unter welchem Druck er sich damals befand. So schrieb er am 26. April 1935 an die Behörde:

“Ich gestatte mir hiermit, erneut um Stundung der Vermögenszahlungen bis zur endgültigen Veranlagung … zu bitten. … Meine Praxis ist durch die Verhältnisse so sehr zurückgegangen, dass die Anforderung der Zahlungen auf Grund meines früheren Vermögens eine wirklich große Härte bedeutet. … .“

Knapp ein Jahr später, am 22. Februar 1936 betonte er in seiner Steuererklärung erneut: “Der Rückgang der Praxis ist aus allgemeinen Gründen (nicht arischer Arzt) zu erklären.“ Mittlerweile waren die Nürnberger Gesetze in Kraft getreten und eine neue Eskalationsstufe des Antisemitismus erreicht. Im April 1936 musste Rothschild sich einer weiteren Buch- und Betriebsprüfung durch das Finanzamt unterziehen, die eine Steuernachzahlungsforderung nach sich zog.

Bei einem Besuch bei seiner Tochter Liselot in Stockholm – sie war bereits 1935 mit ihrem Mann nach Schweden ausgewandert – verstarb David Rothschild unerwartet an einem Herzinfarkt am 7. August 1936. Das Frankfurter Finanzamt nahm seinen Tod im Ausland rückwirkend zum Anlass, ihm den „Verdacht der Auswanderungsabsicht“ und Steuerflucht zu unterstellen. Die Todesanzeige der Familie wurde an die Reichsfluchtsteuerstelle gesandt.

Während ihr jüngster Sohn Hans im Juni 1937 ebenfalls nach Stockholm geflüchtet war, bemühte sich nun auch Stephanie Rothschild um ihre Emigration. Um einen Pass für die geplante Flucht nach Schweden zu bekommen, musste sie zunächst eine sog. „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ beantragen, die aber vom Finanzamt nur ausgestellt wurde, sofern keine Steuerschulden vorlagen. Um ihre Auswanderung vorzubereiten, verkaufte Stephanie Rothschild den Großteil ihres noch vorhandenen Vermögens, so auch am 11. März 1938 das Haus in der Bockenheimer Landstr. Der größte Teil des Verkaufserlöses wurde für die Deckung der fälligen „Reichsfluchtsteuer“ sichergestellt. Am 30. März 1938 zog Stephanie Rothschild vorübergehend in das Haus ihres Schwagers. Sie beantragte am 3. Mai 1938 erfolgreich die ersehnte und – und lebensrettende – „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ zur Auswanderung und flüchtete schließlich am 18. Juni 1938 nach Stockholm.

Als Stephanie Rothschild zum letzten Mal die Tür zu ihrem einstigen Zuhause zuschloss, um ihre Heimat für immer zu verlassen, befanden sich die beiden barocken Engel und einstigen Glanzstücke der „Sammlung Dr. D. Rothschild“ bereits im Liebieghaus oder auf dem Weg dorthin. Denn am 24. März 1938 bestätigte der Kunst- und Antiquitätenhändler Adolf Klein dem damaligen Direktor der städtischen Skulpturensammlung Alfred Wolters den Verkauf der beiden Werke. Aus wessen Eigentum er sie veräußerte, dokumentieren die Quellen des Museumsarchivs jedoch nicht.

In Erinnerung an David Rothschild

Nach 1945 machte Stephanie Rothschild über ihren Anwalt verschiedene Entschädigungsansprüche geltend und erwähnte dabei unter anderem auch den verfolgungsbedingten Verkauf von Kunstwerken unter Marktwert, „darunter zwei besonders wertvolle Barockfiguren, die auf Guggenbichler zurückgeführt werden“. Sie blieb jedoch erfolglos, denn sie konnte ihre Ansprüche nicht belegen.

Trotz intensiver Forschungsbemühungen ließ sich die etwa fünf Jahre umfassende Provenienzlücke der beiden Skulpturen nicht auflösen. Obwohl nicht rekonstruierbar ist, wann und auf welche Weise sich David Rothschild oder Stephanie Rothschild von den Werken trennten, ist ein Besitzerwechsel zu einem Zeitpunkt, zu dem sie aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung unter Druck standen, als wahrscheinlichster Geschehensablauf zu erachten. Die Skulpturen wurden daraufhin restituiert und konnten durch die Stadt Frankfurt für das Liebieghaus wiedererworben werden.

Jahrzehntelang befanden sich die beiden Engel im Liebieghaus ohne Kenntnis ihrer Herkunft aus der barocken Sammlung David Rothschilds. Nun würdigt eine Plakette ihren einstigen Besitzer und gibt ihm endlich ein Gesicht. Dank einer Spende seines Enkels David Walter Rothschilds wird es möglich sein, die beiden Engel in den nächsten Jahren kunsttechnologisch zu untersuchen und zu restaurieren. Sie soll, so teilte er dem Liebieghaus mit, „die Skulpturen meines Großvaters wieder (…) erstrahlen lassen“. Für diese symbolische Geste und unfassbare Großzügigkeit ist das Museum ihm zu größtem Dank verpflichtet.

Autor:

Dr. Iris Schmeisser

Leiterin Provenienzforschung und historisches Archiv

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