Dr. Iris Schmeisser ist die Leiterin der Provenienzforschung am Liebieghaus und begibt sich in ihrer Arbeit regelmäßig auf Spurensuche.
Was sind Ihre Aufgaben als Provenienzforscherin am Liebieghaus?
Meine primäre und sehr spezielle Aufgabe ist die Prüfung der Herkunft der seit 1933 erworbenen Skulpturen, um möglicherweise oder eindeutig belastete Objekte zu identifizieren. Mit „belasteten Objekten“ sind hier Werke gemeint, die jüdischen Besitzerinnen und Besitzern während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogen wurden oder die sie unter Druck weggeben mussten. Allgemein bin ich aber auch zuständig für die archivische Erschließung der Sammlungsgeschichte und somit auch sämtlicher Provenienzen und insbesondere Erwerbungsgeschichten der Skulpturen des ganzen Bestands. Zudem prüfe ich die Provenienzen der geplanten Neuerwerbungen.
Was ist das Besondere an der Sammlung des Liebieghauses im Hinblick auf die Provenienzforschung?
Das Besondere für mich ist die bewegende Gründungsgeschichte des Hauses, die in den ersten Jahrzehnten maßgeblich durch den ersten Direktor des Liebieghauses, Georg Swarzenski, seiner Sammlungstrategie, seiner wissenschaftlichen Arbeit insbesondere zur mittelalterlichen Kunst sowie seinem klugen Netzwerk an Förderern und Stiftern geprägt wurde. Die Provenienzen dieser Erwerbungen transportieren für mich auch immer ein Stück seiner außergewöhnlichen Biographie.
Gab es ein Projekt, das besonders spannend für Sie war und wenn ja, welches?
Besonders spannend war für mich die Provenienzforschung zu den über 200 Elfenbeinskulpturen der Sammlung Reiner Winkler, die das Liebieghaus im Sommer 2018 erworben hat. Unter den faszinierendsten Provenienzen der Sammlung war sicher die Geschichte der Furie auf sprengendem Pferd. Sie befand sich ehemals in der großartigen Sammlung von Rodolphe Kann in Paris und war dann im Besitz der Galerie Joseph Duveen in New York, die diese Sammlung 1907 zu einem spektakulären Preis von $ 5,000,000 gekauft hatte. Sogenannte „Provenienzspuren“ am Objekt selbst wie Inschriften, Aufkleber etc. sind ja bei Skulpturen im Unterschied zu Gemälderückseiten eher selten. In diesem Fall befand sich im hohlen Bauch der Skulptur aber ein amerikanisches Schriftstück aus dem Jahr 1926, das Reiner Winkler aufbewahrt hatte! Aufgrund dieses ungewöhnlichen Fundes wissen wir, dass die Skulptur in diesem Jahr in New York wohl restauriert worden sein muss.
Dr. Iris Schmeisser studierte Kunstgeschichte, Literatur und Kulturgeschichte in Freiburg, Amherst (USA) und München. Sie promovierte im Fach amerikanische Kulturgeschichte zur Rezeption der afrikanischen Kunst und des Jazz in Paris und New York in den zwanziger Jahren. Außerdem war sie Wissenschaftliche Assistentin am Amerika-Institut der LMU München und dem Lehrstuhl für amerikanische Kulturgeschichte der FAU Erlangen. Von 2006 bis 2014 war sie als kuratorische Assistentin und Provenienzforscherin am Museum of Modern Art in New York tätig. Seit 2014 ist Iris Schmeisser die Leiterin der Provenienzforschung am Liebieghaus und Städel Museum und verantwortlich für das historische Archiv.