Von der Geschichte zur Erinnerung

Seit den Anfängen der Liebieghaus Skulpturensammlung waren engagierte jüdische Bürger Frankfurts eng mit dem Museum verbunden. Doch während der NS-Zeit mussten Sammlerpersönlichkeiten wie das Ehepaar Alice und Oswald Feis oder die Erben von Harry Fuld fliehen und ihren Kunstbesitz zurücklassen. Teile davon wurden unter Druck veräußert, andere beschlagnahmt – darunter auch Stücke, die in dieser Zeit vom Liebieghaus erworben wurden.

In der Ausstellung Eindeutig bis zweifelhaft (4.5.–5.11.2017) wurden mehrere Skulpturen gezeigt, die aus den Privatsammlungen engagierter jüdischer Frankfurter Bürger stammen. Seit den Anfängen der Liebieghaus Skulpturensammlung waren sie eng mit dem Museum verbunden. Während der NS-Zeit wurden diese über Jahrzehnte hinweg gewachsenen Kunstsammlungen jedoch aufgelöst, die Besitzer mussten fliehen. Dieses Schicksal ereilte auch die Erben von Harry Fuld und das Ehepaar Alice und Oswald Feis. Sie alle flüchteten zwischen 1937 und 1939 nach London und mussten ihren Kunstbesitz zurücklassen. Teile davon wurden unter Druck veräußert, andere schließlich beschlagnahmt – darunter auch Stücke, die in dieser Zeit vom Liebieghaus erworben wurden.

Erbe mit Brüchen: Das Liebieghaus und die Sammlung Fuld

„Orient – Mittelalter – Exotik – Moderne!“, so emphatisch beschrieb Georg Swarzenski im Jahr 1918 die Kunstsammlung des Frankfurter Unternehmers Harry Herz Salomon Fuld (1879–1932). Im Laufe der Jahre habe sich hier „eine Fülle von Schönheit und manches vom Allerbesten“ zusammengefunden. Swarzenski hatte Fuld dabei lange Zeit persönlich unterstützt und beraten. Fuld selbst kam aus einer Familie von Antiquitätenhändlern: Sein Onkel Julius Goldschmidt (1858–1932) und sein Vater Sally Fuld (1836–1882) waren Mitinhaber der renommierten, Mitte des 19. Jahrhunderts gegründeten Frankfurter Antiquitäten- und Kunsthandlung J. & S. Goldschmidt, die später Dependancen in Berlin, Paris und New York hatte. 1899 hatte Fuld gemeinsam mit dem Unternehmer Carl Lehner in Frankfurt die Deutsche-Privat-Telefongesellschaft H. Fuld & Co. gegründet, ein Installationsgeschäft für Telefonanlangen, das schnell expandierte. Er gehörte zu den wichtigsten und renommiertesten Mäzenen des Städel Museums und des Liebieghauses. So hatte er der Skulpturensammlung bereits 1910 einen kleinen Klappaltar gestiftet. Ein deutsches Kruzifix aus dem 11. Jahrhundert, eine frühe chinesische Tonskulptur (die „Lohan-Büste“) und schließlich die sogenannte „Steinberger Pieta“ bestückten das Liebieghaus als Leihgaben. Der Museumsleiter Swarzenski ging zuversichtlich davon aus, dass die bedeutende Sammlung dem Städel eines Tages als Vermächtnis zufallen würde.

Die „Steinberger Pietà“ – nach ihrem Herkunftsort nahe Ulm benannt – war seit 1919 als Leihgabe von Harry Fuld im Liebieghaus ausgestellt und bis zur Schließung des Museums im Jahr 1938 dort zu sehen. Da Fuld 1932 gestorben war, befand sich die Skulptur zu diesem Zeitpunkt im Besitz von Ida Fuld-Felsmann. Sie war Fulds (nicht-jüdische) Frau aus zweiter Ehe und Vormund des gemeinsamen Sohnes Peter Fuld. Dieser hatte die Kunstsammlung zusammen mit seinem jüdischen Halbbruder Harry Fuld, Jr. (Sohn aus erster Ehe) und der jüdischen Witwe seines Vaters, Lucie Fuld, geerbt, mit der er in dritter Ehe verheiratet gewesen war. Im Januar 1932 verstarb Fuld überraschend auf einer Geschäftsreise in der Schweiz. Seine Kunstsammlung hatte er jedoch – entgegen der Erwartungen Swarzenskis – nicht dem Museum, sondern seinen Erben vermacht. Zwar wurde Swarzenski von der Nachlassverwaltung Fulds mit der Schätzung der Kunstsammlung beauftragt, es gelang ihm jedoch nicht, die Erben davon zu überzeugen, wesentliche Stücke wie die „Steinberger Pietà“ dem Museum zu überlassen.

Peter Fuld: Flucht nach England und Internierung

Während der NS-Zeit sollten sich die Bemühungen des Museums um ausgewählte Objekte aus dem Nachlass Fuld unter drastisch veränderten Vorzeichen für alle Beteiligten fortsetzen: Bereits im Oktober 1936 schlug der Direktor der Städtischen Galerie Alfred Wolters fünf Objekte der Sammlung Fuld für das „Verzeichnis national wertvoller Kulturgüter“ vor und beschränkte so ihren potentiellen Export. Unter diesen Objekten war auch die „Steinberger Pietà“. Um 1940 versuchte Wolters schließlich, die Skulptur zu erwerben. Ida Fuld-Felsmann lehnte jedoch ab. Ihr Sohn Peter, der im Frühjahr 1939 nach London emigriert war, befand sich damals als Zivilinternierter in Kanada. Erst nach dem Krieg verkaufte Ida Fuld-Felsmann – in Absprache mit ihrem Sohn Peter – verschiedene Werke aus der ehemaligen Sammlung Fuld an das Museum, darunter auch die „Steinberger Pietà“, die 1953 vom Liebieghaus erworben wurde.

Harry Fuld, Jr.: Beschlagnahme seines Kunstbesitzes in Berlin

Harry Fuld jun., der ältere Sohn, der wie sein Vater in Berlin lebte, war ab 1934 in Wien tätig und flüchtete 1937 nach England. Teile seines Kunstbesitzes hatte er bei der Speditionsfirma Gustav Knauer in Berlin eingelagert. Die Kunstwerke wurden dort 1942 beschlagnahmt und vom Auktionshaus Lange in Berlin im Januar 1943 versteigert. Wolters, der in dieser Zeit in engem Austausch mit Ida Fuld-Felsmann stand, wusste von der Auktion und hatte zu diesem Zweck beim Kulturamt eine Dienstreise nach Berlin beantragt. Er erwarb aus dieser Auktion zwei Konsolen und ein Kapitell aus der Sammlung Fuld. Das Inventarbuch des Liebieghauses vermerkt zur Herkunft der Stücke jedoch nur: „Auktion W. Lange, Berlin.“ Erst 2013 wurde die Herkunft der drei Objekte durch Anfrage der Erben identifiziert und diese anschließend zurückgegeben.

Dr. med. Oswald Feis: Arzt – Kunstmäzen – Philanthrop

Die Statuette „Heiliger Florian“ erzählt die Geschichte des Frankfurter Arztes Oswald Feis (1866–1940) und seiner Frau Alice Feis, geb. Goldschmidt (1876–1959). Die einst hochgeschätzten und im kulturellen Leben Frankfurts etablierten Eheleute sind heute nur noch Wenigen bekannt. Alfred Wolters, Direktor der Städtischen Galerie und des Liebieghauses, beschrieb das Ehepaar Feis und deren Haushalt 1946 gegenüber der amerikanischen Militärregierung wie folgt: „Dr. med. Feis und seine Frau waren Juden – sie waren tief gebildet, künstlerisch, besonders musikalisch sehr interessiert, besaßen ein schönes, mit viel Geschmack eingerichtetes Haus, in dem sich ein richtiger kleiner Konzertsaal zur Abhaltung von Hauskonzerten befand. Sie besaßen gute alte Möbel, alte Holzplastiken, Bilder, Fayencen.“ Wolters sagte im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den Kunsthändler und Versteigerer Wilhelm Ettle aus und äußerte sich im Zuge dessen auch zu den Kaufumständen des „Heiligen Florian“ aus der ehemaligen Sammlung Feis.

„Leider bin ich genötigt, diese Werke zu veräußern.“ (Oswald Feis, 1938)

Im Dezember 1938 wandte sich Oswald Feis an das Liebieghaus: Um die „Judenvermögensabgabe“ und die „Reichsfluchtsteuer“ für die geplante Emigration leisten zu können, stellte der Verkauf seiner Kunstsammlung den einzigen Ausweg dar. Zunächst hoffte Feis auf die vollständige Übernahme der Kunstsammlung durch ein Museum. Für die Sammlung des Liebieghauses erwarb Wolters aber nur die Statuette „Heiliger Florian“, die sich bis heute in der Sammlung befindet. Große Teile der Kunstwerke übernahm der Händler und Versteigerer Wilhelm Ettle (1879–1958) im Frühjahr 1939, der sie zuvor als Kunstsachverständiger auch im Preis geschätzt hatte. Die Eheleute Feis emigrierten am 9. August 1939 nach England, wo Oswald Feis wenige Monate später verstarb. Das eingelagerte Umzugsgut, darunter Antiquitäten und Kunstgegenstände, wurde 1941 durch die Gestapo beschlagnahmt und sollte von Wilhelm Ettle versteigert werden. Auch für die abschließende „Verwertung“ der letzten Gegenstände aus dem Umzugsgut erhielt Ettle 1943 den Zuschlag.

„Wo mögen diese Dinge hingeraten sein?“ (Alice Feis, 1946)

Alice Feis meldete nach dem Krieg umfassende Rückerstattungsansprüche an. Gegen Wilhelm Ettle wurde ein Verfahren geführt, das in einem Vergleich endete: Alice Feis erhielt unverkaufte Stücke zurück und wurde finanziell entschädigt. Die Figur des „Heiligen Florian“ aus dem Liebieghaus war allerdings zu keinem Zeitpunkt Gegenstand eines Antrags oder Verfahrens. Die erhaltene Dokumentation ermöglicht heute jedoch die Erkenntnis, dass es sich bei dem Verkauf des „Heiligen Florian“ um einen Vermögensverlust handelt, der aufgrund der verfolgungsbedingten Notlage von Oswald und Alice Feis erfolgt ist. Die einst vermögende Witwe war bis zur Auszahlung ihrer Rückerstattungsansprüche nahezu mittellos. Sie verfügte nur über eine geringe freiwillige Rentenzahlung der Frankfurter Ärztekammer sowie eine kleine Ehrenrente der Stadt Frankfurt, die als Würdigung von Oswald und Alice Feis für ihr Mäzenatentum an die Kultur und Gesellschaft ihrer einstigen Heimatstadt ab 1954 eingerichtet wurde. Bis zur Auszahlung der umfassend anerkannten Rückerstattungsansprüche vergingen weitere drei Jahre. Alice Feis verstarb am 9. Juni 1959 in London.

Autor:

Dr. Iris Schmeisser, Leiterin Provenienzforschung und historisches Archiv

& Anna Heckötter, Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Provenienzforschung

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