München
um 1770
Lindenholz, Reste alter Bemalung
Höhe 144 cm
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Der kniende Engel beugt sich mit dem Oberkörper weit vor, kreuzt die Hände vor der Brust und neigt den Kopf. Eine klare Umrisslinie führt vom Kopf über den Rücken bis zu einer nach hinten schwingenden Falte. Über dem linken Bein teilt sich das Gewand durch einen Schlitz, der aus einem scheibenartig dünn wirkenden Gewand geschnitten scheint. Andere Draperiebäusche desselben Gewandes zeigen schwere, kantig brechende Falten. Dieser so unterschiedlich charakterisierte Stoff lässt Körperformen nur assoziieren. So etwa, wenn eine Falte den Umriss des rechten Fußes zwar andeutet, ihn aber nicht verhüllen kann, da sie nach innen gestülpt ist. In der Bibel sind Engel geschlechtslose Wesen. In der Kunst dagegen werden sie als Krieger, als Mädchenengel oder als Puttenknaben dargestellt. Günther verweigert seinem Engel eine geschlechtliche Zuordnung und verbindet weibliche Gesichtszüge mit einem feingliedrigen männlichen Körper.
Franz Ignaz Günther trat achtzehnjährig als Lehrling in die Werkstatt des Münchener Hofbildhauers Johann Baptist Straub (1704–1784) ein, später, für kurze Zeit, in Mannheim in die Werkstatt des kurpfälzischen Hofbildhauers Paul Egell (1691–1752). Bei Abschluss seines sechsmonatigen Besuchs der Akademie in Wien wurde er besonders ausgezeichnet, worauf er zeitlebens stolz war. Ende 1753 ließ er sich in München nieder. 1754 wurde er zum hofbefreiten Bildhauer ernannt.
Günther ist einer der bedeutendsten deutschen Künstler der Aufklärung. Er erteilt der barocken Illusion von nachvollziehbarer Körperlichkeit und der Harmonie zwischen Körper und Gewand eine Absage. Dadurch vollzieht er die kunsttheoretische Diskussion der Aufklärung in seinen Skulpturen nach.