Oberrhein (Straßburg ?)
um 1470
Lindenholz, originale Farbfassung
Höhe 61 cm
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Die rundum bearbeitete Marienfigur mit dem Christusknaben auf dem Schoß verbildlicht wie die rund 400 Jahre ältere Siechhausmadonna zwei zentrale Lehrsätze der christlichen Kirche: Maria ist die leibhaftige Mutter Christi, des Sohnes Gottes und Gott ist in Gestalt seines Sohnes als Mensch auf die Welt gekommen. Die Umsetzung jedoch ist kaum unterschiedlicher zu denken und verdeutlicht den großen Wandel in der Vermittlung derartiger Glaubensinhalte über die Jahrhunderte.
Die ältere Skulptur verkörpert die hoheitsvolle, dem Alltag enthobene heilige Mutter des göttlichen Jesus Christus und ist zugleich erhabenes Sinnbild für die Institution Kirche und Ausdruck ihres Machtanspruches. Daher auch ihre Erfurcht gebietende strenge Erscheinung. Die jüngere zeigt zunächst eine ganz normale liebende Mutter, keine Heilige. Der quirlige Junge unterscheidet sich in nichts von anderen Kindern. Das Menschliche, nicht das Heilige und Göttliche wird hier betont.
Der zweite Blick verrät dann aber doch, mit wem man es zu tun hat: Mariens Gesicht ist von geradezu überirdisch perfekter Anmut. Auch wendet sie sich nicht ihrem Sohn zu, sondern dem Betrachter, so dass aus dem einfachen Festhalten des Kindes eher ein Präsentieren des Erlösers wird. Die Stoffe ihrer bewegt drapierten und kräftig modellierten Gewandung sind nicht nur in der Masse sehr üppig, sie sind auch auffallend edel und damit einer Königin des Himmels würdig: Der Mantel ist golden, das Kleid in teurem Azuritblau, gold gesäumt und mit vergoldeten Lederornamenten und verstreuten Goldkügelchen verziert. Majestätische Wirkung schafft auch der klare, dreieckige Umriss der Figur in der Frontalen. Er bändigt die bewegten Binnenformen und verleiht Ruhe und Würde.