Sybille „Bärbel von Ottenheim“
Niclaus Gerhaert von Leyden

Straßburg
1463/64

Rötlicher gemaserter Sandstein, ehemals farbig gefasst
Höhe 23,2 cm

Teilen

Teilen

Eines der populärsten Werke des Liebieghauses ist ein spätgotischer Frauenkopf aus Sandstein. Leicht neigt sich das Haupt nach rechts. Dabei lächelt das schmale Gesicht süffisant unter dem Schleier hervor, der an der rechten Wange einen modisch hochgesteckten Zopf freigibt.

Die vielen Bruchkanten weisen das Stück als Fragment aus. Ursprünglich handelte es sich um die Büste einer Sibylle, einer Seherin der griechischen Mythologie, deren Weissagungen im Mittelalter christlich gedeutet wurden. Sie hatte ihren Platz an der Portalanlage der zerstörten Kanzlei in Straßburg. Oberhalb des Tores lehnte sie sich über dem Stadtwappen und unter der Figur einer thronenden Muttergottes aus einem Scheinfenster. Dabei hielt sie sich mit ihrer linken Hand rechts am Fensterrahmen fest. In ähnlicher Bewegung schaute links aus einem zweiten Fenster ein Prophet, von dem sich im Straßburger Frauenhaus-Museum ebenfalls nur der Kopf erhalten hat. Doch sind von beiden Büsten Gipsabgüsse erhalten.

Der für die Skulpturen verantwortliche Niclaus Gerhaert von Leyden war der herausragende Bildhauer seiner Zeit in Mitteleuropa. Seine handwerklichen Fertigkeiten waren überragend, und seine Figuren agierten im Raum und waren so voller Leben, wie dies kaum einer seiner Zeitgenossen zu gestalten vermochte. Gerade diese ehemals noch durch Bemalung gesteigerte Lebensnähe dürfte erklären, warum an die Stelle der eigentlichen Bedeutung der Büsten rasch die Namen realer Personen traten. Noch heute kursieren die seit dem 16. Jahrhundert nachweisbaren Benennungen als Graf Jakob von Lichtenberg, der zur Entstehungszeit des Portals, 1463/64, amtierende Straßburger Stadtvogt, und seine Mätresse Bärbel von Ottenheim.