Oberschwaben
um 1500
Laubholz, Reste originaler Farbfassung
Höhe 33 cm
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Spätgotische Skulpturen des Christusknaben gibt es zahlreich und in unterschiedlichen Ausformungen. Ihre Existenz verdanken sie der wachsenden Verehrung des Christuskindes durch die Orden der Franziskaner und Dominikaner im 13. Jahrhundert. Eng verknüpft damit waren figürliche Darstellungen des Christusknaben. Seit dem 14. Jahrhundert gehörten sie zur Mitgift jeder Nonne beim Klostereintritt. Sie dienten der Verbildlichung der Menschwerdung Gottes. Sie waren Gegenstand inniger Andacht und zugleich Ursache und Wirkung zahlreicher Visionen, in denen das Jesuskind häufig Nonnen leibhaftig erschien.
Da nach mittelalterlichem Verständnis deren Rolle der Mariens entsprach, übernahmen sie die Funktion der Gottesmutter, liebkosten, fütterten, badeten, kleideten und wiegten die Figuren wie echte Kinder. Die Verehrung der Christusfiguren etablierte sich schließlich auch in bürgerlichen Kreisen. Der gesteigerte Bedarf führte zu massenhafter Produktion – beispielsweise im niederländischen Mecheln.
Mit dieser Entwicklung hat auch das auf einem Kissen sitzende Jesuskind des Liebieghauses zu tun. Allerdings gehört es in einen anderen Kontext als den der privaten Andacht. Die Figur stammt ursprünglich aus einem größeren figürlichen Zusammenhang. Wahrscheinlich war sie in eine Anna-Selbdritt-Gruppe eingepasst und hatte ihren Platz auf der Sitzbank zwischen Maria und Anna, ihrer Mutter. Dass das Kind getrennt gearbeitet ist, lässt darauf schließen, dass es entnehm- und anderweitig verwendbar sein sollte; möglicherweise, um es in Prozessionen an einem der ältesten Marienfeiertage, Maria Lichtmess, einzusetzen. Bekannt sind Umzüge an diesem Tag, in denen derartige auf Kissen sitzende Christuskinder eine zentrale Rolle spielten.