Niederbayern (Straubing) zwischen 1440 und 1450
Gebrannter roter Ton, vollrund, Reste alter Farbfassung
Höhe 96 cm
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Die aus Ton modellierte Marienstatue steht für eine ganze Reihe mittelalterlicher Tonplastiken im Liebieghaus. In ihrer Mehrheit sind sie in Niederbayern entstanden, wo Landshut und Straubing wichtige Zentren der Tonbildnerei waren. Tatsächlich soll die Figur denn auch von einem Haus in Straubing stammen.
Ton mit seinen speziellen Materialeigenschaften war in der Zeit des Schönen Stils sehr beliebt. Seine Geschmeidigkeit prädestinierte ihn für die fließenden, weichen Formen der Draperien. Doch war er als Werkstoff auch in den nachfolgenden Jahrzehnten in Gebrauch. Die um 1440/50 entstandene Straubinger Madonna verdeutlicht dies auf hohem künstlerischem Niveau.
Wie das Dreifaltigkeitsrelief oder die Nürnberger Johannesfigur ist die Figur typisch für den stilistischen Wandel ab etwa 1430, der als Reaktion auf ein gesteigertes Bedürfnis nach neuen Ausdrucksformen gelten darf. Die immer wiederholten Kompositionen und Einzelmotive der stark idealisierten Bildwerke des Schönen Stils genügten dem zunehmenden Wunsch nach persönlicher Andacht nicht länger. Das Interesse an der Wirklichkeit wuchs und damit auch das Bewusstsein für individuellere Formen und eine differenziertere Wiedergabe der Welt.
Das erklärt die große gestalterische Spannbreite der Kunst um 1450, verdeutlicht aber auch die Tatsache, dass sie nicht zwangsläufig in unserem Sinne realistischer ist als zuvor. Es ging zunächst um individuelle Lösungen, die den Betrachter stärker ansprechen und bessere Identifikationsmöglichkeit bieten sollten. So sind die Faltenformen im Gewand der Straubinger Maria auch kaum weniger stilisiert als bei Figuren des Schönen Stils. Aber in ihrer eigenwilligen scharfgratigen Struktur unterscheiden sie sich doch grundlegend.