Die Ausstellung Bunte Götter, die 2008 im Liebieghaus zu sehen war, tourt seit 2003 durch die Welt. Ein Einblick in die Geschichte der Erfolgsausstellung und der Polychromieforschung.
Vom 30. Januar 2020 bis 26. September 2021 war die Ausstellung BUNTE GÖTTER – Golden Edition. Die Farben der Antike im Liebieghaus zu sehen.
Die Liebieghaus Skulpturensammlung und das Forschungsfeld der Polychromie antiker Skulpturen sind in erster Linie über einen Kurator am Haus auf Engste miteinander verbunden: Vinzenz Brinkmann, der seit 2007 die Abteilungen Antike und Asien des Museums leitet. Das jüngste und sehr bedeutsame Kapitel in der Geschichte der Polychromie-Forschung, das Brinkmann frühzeitig mit prägte, nahm seinen Lauf jedoch bereits Mitte der 1960er-Jahre. Zu dieser Zeit arbeitete der Archäologiestudent Volkmar von Graeve in Frankfurt an seiner Dissertation zum berühmten Alexandersarkophag. Gemeinsam mit seinem Freund und Kommilitonen Hans Christof Wolters führte von Graeve Untersuchungen am Sarkophag durch, bei denen er mithilfe von UV-Licht verblasste Malerei auf dem Marmor sichtbar machte (gemäß eines Verfahrens, das von der Fotografin Eva-Maria Czakó entwickelt wurde). Nach Abschluss seiner Dissertation begann von Graeve ab 1980 ein Forscherteam um sich zu versammeln, welches sich der Farbgestaltung und Polychromie der Antike widmete.
UV-Aufnahme der Audienzszene auf der Innenseite eines Schildes am Alexandersarkophag (Aufnahme von V. Brinkmann nach H.-Chr. Wolters und V. v. Graeve) (Istanbul, Archäologisches Museum, IN 370)
Als neue Methode hat sich in den letzten Jahren die Infrarot-Lumineszenz-Fotografie zur Bestimmung des Pigments "Ägyptisch Blau" etabliert (Foto: H. Theiss, Liebieghaus).
Das ursprüngliche Aussehen antiker Kunst und Architektur weckte schon im 19. Jahrhundert das Interesse von Wissenschaftlern und sorgte für lebhafte Diskussionen. Ausgrabungen in antiken Kultstätten förderten Marmorskulpturen zutage, die umfangreiche Farbspuren aufwiesen. In diesem Zeitraum erschienen eine Reihe ausführlicher und hochwertiger Publikationen, welche die Polychromie dokumentierten und zudem den Vorschlag von Farbrekonstruktionen unterbreiteten. Die letzten Rekonstruktionen aus dieser Phase datieren auf das frühe 20. Jahrhundert und betreffen Arbeiten des Archäologen Adolf Furtwängler in München. Im Verlauf des 20. Jahrhundert veränderte sich die geistige Landschaft jedoch entscheidend und die Leitidee der Abstraktion im Geist und in der Form gewann in der westlichen Welt zunehmend an Einfluss. Dies bedeutete in der Folge, dass Aspekte und Fragen der sinnlichen Erscheinung antiker Kunst – insbesondere hinsichtlich des Einsatzes von Farbe und Ornament – immer stärker in den Hintergrund gerieten.
Die Ausstellung „Bunte Götter. Die Farbigkeit antiker Skulptur“ 2008 im Liebieghaus.
Von Graeve konzentrierte sich erst in München und später in Bochum auf das Feld der antiken Malerei und gründete ein Forschungsinstitut für diesen Schwerpunkt. Einer der Schüler von Graeves und Mitglied seines wissenschaftlichen Teams war Vinzenz Brinkmann. Dieser übernahm von seinem Lehrer den Bereich der Polychromie-Forschung. Den Hintergrund für diese Ausrichtung bildeten Erkenntnisse, die Brinkmann während eines einjährigen Studienaufenthalts von 1980 bis 1981 als DAAD-Stipendiat in Athen gewonnen hatte. Während dieser Zeit war er auf der Suche nach „unfertigen“ Oberflächen griechischer Skulpturen und entdeckte dabei auf diesen unerwartet zahlreiche Spuren von Farbigkeit. Ein Umstand, der ihn schließlich zur Initiierung eines Forschungsprojekts mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft führte. 2001 habilitierte sich Vinzenz Brinkmann mit einer Arbeit zur Polychromie archaischer und frühklassischer Skulptur. Nur zwei Jahre später hatte die Ausstellung „Bunte Götter. Die Farbigkeit antiker Skulptur“ ihren Auftakt in der Münchener Glyptothek und war anschließend in den Vatikanischen Museen sowie der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen zu sehen.
Vinzenz Brinkmann an der UV-Blitzanlage (1982)
Ausstellungsplakat "Bunte Götter" im Liebieghaus
Alles Wissenswerte zu den „Bunten Göttern“ – multimedial und kostenlos.
Seitdem tourt die Schau als Wanderausstellung durch die Welt und erfreut sich globaler medialer Aufmerksamkeit.
Der enorme, ungebrochene und internationale Erfolg der Ausstellung liegt insbesondere in der Tatsache begründet, dass die „Bunten Götter“ einen fundamentalen Paradigmenwechsel eingeleitet haben: In einem aufklärerischen Gestus führen sie unsere tief verankerte kulturelle Prägung ad absurdum, gemäß derer antike Skulpturen „natürlich“ in edlem Marmorweiß gehalten sind. Dabei handelt es sich um das sogenannte „Winkelmann‘sche Missverständnis“, da diese Vorstellung vermeintlich auf den Archäologen Johann Joachim Winkelmann (1717–1768), den Begründer der Geschichte der antiken Kunst, zurückgeht. Das europäische Konzept der weißen antiken Skulptur verdankte seine große Strahlkraft einer intellektuellen und kulturellen Vormachtstellung. Vor diesem Hintergrund lässt sich anhand der Farbrekonstruktionen der „Bunten Götter“ bis heute in vielerlei Hinsicht erleben, wie sehr das Schaffen von Bildern Menschen nicht nur inspirieren, sondern ebenso stark herausfordern kann – innerhalb und außerhalb der Wissenschaft. Damit klärt die Ausstellung den Besucher zugleich auch in prägnanter Weise über die Tatsache auf, dass menschliche Gemeinschaften Bilder gestalten und prägen, um sich an ihnen zu orientieren.
Die „Bunten Götter“ zu Gast im Museo del Palacio de Bellas Artes in Mexiko.
Die „Bunten Götter“ sind nicht nur in den großen Ausstellungshäusern dieser Welt zu Hause, sondern ebenso an internationalen Eliteuniversitäten wie Harvard, Oxford, Tübingen, Heidelberg und Göttingen. Die Entstehungsgeschichte sowie stetige Weiterentwicklung der Schau zeugt nicht zuletzt davon, wie aus einem anfangs kleinen Forscherteam ein globales und sehr lebendiges Netzwerk wurde. Beim Erforschen der Polychromie antiker Skulptur folgt das Team um Vinzenz Brinkmann zwei zentralen Prinzipien: Zum einen stellen jegliche Farbrekonstruktionen Annährungsverfahren an ursprüngliche farbige Fassungen dar, die beständig weiterentwickelt werden. Zum anderen wird das Experiment als didaktische Methode verstanden, die nicht nur dem Erkenntnisgewinn, sondern zugleich auch der Erkenntnisvermittlung dient. Grundsätzlich gehen jeder Rekonstruktion umfangreiche Forschungsarbeiten und Untersuchungen des ursprünglichen Materials voraus. Dabei wirken der Austausch und die gegenseitige Überprüfung der Forschenden im Netzwerk als konstantes Korrektiv. Darüber hinaus arbeiten die Wissenschaftler bei der Erstellung der Rekonstruktionen mit den besten einschlägigen Kunsthandwerkern – Statuenmaler, Vergolder, Goldschmiede, Gießer, Patineure, Restauratoren – zusammen, die zu finden sind.
Mit Unterstützung der Prada Foundation und der italienischen Regierung entstehen die spektakulären Rekonstruktionen der berühmten Bronzekrieger aus Riace.
Mehr zum Thema Polychromieforschung am Liebieghaus erfahren Sie hier.
Die Unterstützung des Forschungsprojektes durch den Münchner Altphilologen Oliver Primavesi stellte einen bedeutenden Schritt dar. Mithilfe seines Leibnizpreises (2007) ermöglichte er die Erstellung der Rekonstruktionen der sogenannten dritten Generation, die bereits in Zusammenarbeit mit der Liebieghaus Skulpturensammlung von Ulrike Koch-Brinkmann und Vinzenz Brinkmann ausgeführt wurden. Von 2005 bis 2015 förderte und verwaltete die gemeinnützige Stiftung Archäologie das Ausstellungsprojekt „Bunte Götter. Die Farbigkeit antiker Skulptur“. 2016 wurde diese Aufgabe dem Polychromie-Forschungsprogramm der Liebieghaus Skulpturensammlung in Frankfurt übertragen. Aufgrund einer Schenkung von Ulrike Koch-Brinkmann und Vinzenz Brinkmann ging der Großteil der Rekonstruktionen in den Besitz des Museums über. Die Geschichte der „Bunten Götter“ und der Polychromie-Forschung wird somit von der Main-Metropole aus fortgeschrieben und das Projekt auch in Zukunft kontinuierlich ausgebaut sowie wissenschaftlich überarbeitet und aktualisiert. Das neueste Forschungsfeld, das es weiter zu erschließen gilt, ist die Farbigkeit antiker Bronzen und deren Rekonstruktion. Die Rekonstruktion der beiden sogenannten „Riace-Krieger“ war die erste eindrucksvolle Etappe auf diesem Weg.